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Wahlprogramme im Check
Entwicklungspolitik zwischen Wirtschaftsinteressen und globaler Gerechtigkeit
Die Welt steht vor großen Herausforderungen. Die verheerenden Auswirkungen der Klimakrise, wachsende Ungleichheiten und eine Vielzahl von Konflikten werden die Politik der zukünftigen Bundesregierung maßgeblich bestimmen. Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe leisten einen entscheidenden Beitrag zur Bewältigung dieser globalen Probleme. Doch im Wahlkampfgetöse spielen sie kaum eine Rolle.
Wir haben uns die Wahlprogramme genauer anschaut und uns gefragt, welchen Stellenwert Entwicklungszusammenarbeit und globale Gerechtigkeit bei den verschiedenen Parteien hat. Daher haben wir einen tiefen Blick auf die Bereiche Entwicklungspolitik, Finanzierung von Entwicklungspolitik & Humanitäre Hilfe, Stärkung der Zivilgesellschaft, Ernährungssysteme verändern, Faire Lieferketten und Rohstoffpolitik geworfen.
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Hier Fördermitglied werdenEntwicklungspolitik
Wir sagen: Entwicklungspolitik ist kein Anhängsel der Außen- oder Wirtschaftspolitik. Sie darf nicht nationalen Interessen untergeordnet werden, sondern muss konsequent auf die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in ärmeren Ländern ausgerichtet sein. Dazu gehört auch ein eigenständiges Entwicklungsministerium.
Die CDU/CSU möchte die Entwicklungszusammenarbeit zukünftig an den Wirtschaftsinteressen Deutschlands ausrichten und mit der vom Auswärtigen Amt verantworteten humanitären Hilfe zusammenführen. Die deutsche Wirtschaft soll stärker von staatlich finanzierten Entwicklungsprojekten profitieren.
Die SPD will mit verstärkter Entwicklungszusammenarbeit Fluchtursachen bekämpfen und Perspektiven für Menschen in Ländern des Globalen Südens schaffen. Sie soll an den UN-Zielen für eine nachhaltige Entwicklung (SDG) ausgerichtet sein. Die SPD spricht sich für ein starkes und eigenständiges Entwicklungsministerium, aus.
Auch die Grünen wollen eine eigenständige Entwicklungspolitik, die strukturelle Ungerechtigkeiten abbaut und setzen dabei auf gleichberechtigte Partnerschaften mit Ländern des Globalen Südens. Sie betonen eine starke ressortübergreifende Koordination, in die das Entwicklungsministerium eingebunden ist.
Die FDP spricht sich für eine Neuausrichtung der Entwicklungspolitik an wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands aus und möchte das Entwicklungsministerium ins Auswärtige Amt integrieren.
Die Linke betont die internationale Solidarität, will die Entwicklungspolitik an sozialer Gerechtigkeit ausrichten und nennt die SDGs als Maßstab.
Im Wahlprogramm des BSW finden sich kaum Aussagen zu Entwicklungspolitik. Es wird erwähnt, dass Deutschland dazu beitragen soll, dass die internationale Gemeinschaft ihr Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit verstärkt, um so die Lebensbedingungen in den Ländern des Globalen Südens nachhaltig zu verbessern.
Finanzierung von Entwicklungspolitik & Humanitäre Hilfe
Wir sagen: Deutschland muss seine internationalen Verpflichtungen erfüllen und einen Anteil von mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungsleistungen und humanitäre Hilfe (ODA) bereitstellen. Die Beiträge zur internationalen Klimafinanzierung müssen zusätzlich geleistet werden. Zur Finanzierung sollte eine globale Mindeststeuer für Superreiche eingeführt werden.
Weder CDU noch FDP äußern sich in ihren Wahlprogrammen zur Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit. Die CSU fordert in ihrer »Bayern-Agenda« massive Einsparungen bei der Entwicklungszusammenarbeit. Auch aus den Reihen der FDP wurden zuletzt immer wieder Forderungen nach weitreichenden Kürzungen laut.
SPD, Grüne und Linke bekennen sich dagegen zur internationalen vereinbarten ODA-Quote von mindestens 0,7 Prozent. Grüne und Linke wollen darüber hinaus zusätzliche Mittel für die internationale Klimafinanzierung bereitstellen. Zur Mobilisierung der notwendigen Mittel setzen die Grünen auf einen verstärkten Zugang deutscher Entwicklungsbanken zum Kapitalmarkt, während SPD und Linke die Einführung einer globalen Milliardärssteuer nennen, die auch im Programm der Grünen erwähnt wird.
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Stärkung der Zivilgesellschaft
Wir sagen: Starke Zivilgesellschaften weltweit geben den Armen eine Stimme und treten für Demokratie, Gerechtigkeit und Umweltschutz ein. Aber zivilgesellschaftliche Organisationen sind immer öfter Repressionen ausgesetzt. Die Bundesregierung muss sich für den besseren Schutz der Zivilgesellschaft einsetzen und die Unterstützung auf den OECD-Durchschnitt von 15 Prozent erhöhen.
Einzig in den Programmen von SPD und Grünen finden sich Aussagen zur Unterstützung der Zivilgesellschaft durch die Entwicklungspolitik. Die SPD will Gewerkschaften und Zivilgesellschaft in der Entwicklungszusammenarbeit stärken und auch in Deutschland zivilgesellschaftliches Engagement unterstützen. Konkreter werden die Grünen, die gezielt Menschenrechtsverteidiger*innen unterstützen und bei Verfolgung in Schutzprogramme aufnehmen wollen. Das Entwicklungsministerium soll verstärkt mit zivilgesellschaftlichen Akteuren kooperieren und die entwicklungspolitische Bildungsarbeit im Inland fördern.
Die Linke sieht sich beim Einsatz für globale Gerechtigkeit an der Seite sozialer Bewegungen, ohne näher auf die Rolle von Zivilgesellschaft in der Entwicklungszusammenarbeit einzugehen.
Ernährungssysteme verändern
Wir sagen: Das Recht auf Nahrung muss verwirklicht werden, ohne Klima und Umwelt zu schaden. Dafür ist eine fundamentale Transformation unseres globalen Ernährungssystems notwendig, damit es gerecht, nachhaltig und resilient wird. Die Förderung bäuerlicher Produzent*innen und Agrarökologie spielen hierbei eine zentrale Rolle.
Die SPD erkennt in ihrem Programm zumindest an, dass neben der kurzfristigen Reaktion auf akute Hungerkrisen langfristig eine Umstellung der Agrarsysteme auf Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit unterstützt werden muss. Die Grünen wollen das Recht auf Nahrung unter anderem durch die Förderung agrarökologischer Ansätze und den Schutz von Landrechten von Kleinbäuer*innen verwirklichen. Die Linke setzt insbesondere auf die Einschränkung der Macht großer Agrarkonzerne und die Förderung von Kleinbäuer*innen.
Grüne und Linke wollen darüber hinaus ein Exportverbot von Pestiziden und Pestizidwirkstoffen, die bei in der EU aufgrund von Umwelt- und Gesundheitsrisiken nicht zugelassen oder verboten sind.
Frauen stärken
Armut, Ausbeutung, Gewalt – Frauen und Mädchen sind davon besonders bedroht. Stärken Sie Frauen und Mädchen mit Ihrer Spende!
Mehr erfahrenFaire Lieferketten
Wir sagen: Verletzungen von Menschenrechten, Kinderarbeit und Umweltzerstörung darf es in globalen Lieferketten nicht länger geben. Deshalb brauchen wir die konsequente Anwendung des deutschen Lieferkettengesetzes und eine schnelle und ambitionierte Umsetzung der EU-Lieferkettenrichtlinie in deutsches Recht, ohne das Schutzniveau des deutschen Gesetzes abzusenken.
Die SPD sieht in der EU-Lieferkettenrichtlinie klare Regelungen, die gute Arbeit mit existenzsichernden Löhnen sicherstellt und will sich bei den Verhandlungen zum UN-Vertrag für Wirtschaft und Menschenrechte auch für weltweit verbindliche Regeln einsetzen. Die Grünen sehen in der EU-Lieferkettenrichtlinie eine große Errungenschaft und wollen diese unbürokratisch in deutsches Recht übertragen. Die Linke will sogar ein stärkeres Lieferkettengesetz, etwa durch verbesserte Klagemöglichkeiten, Beschwerdemechanismen und mehr staatliche Kontrollen und Sanktionen.
Die anderen Parteien wollen den Menschenrechtsschutz abbauen. Die CDU/CSU will das nationale Lieferkettengesetz, das unter der Merkel-Regierung 2021 verabschiedet wurde, wieder abschaffen und die EU-Regulierungen abschwächen. Die FDP tritt für die vollständige Abschaffung der EU-Lieferkettenrichtlinie ein. Auch das BSW sieht im Lieferkettengesetz ein „Bürokratiemonster mit fraglichem Nutzen“, das reformiert werden muss und will die Nachhaltigkeitsberichterstattung aussetzen.
Rohstoffpolitik
Wir sagen: Der zunehmende Verbrauch natürlicher Ressourcen, darunter auch metallischer Rohstoffe, gefährdet unsere Lebensgrundlagen. Deshalb brauchen wir eine Rohstoffwende, die die Reduktion des Primärrohstoffbedarfs, den Aufbau einer globalen Kreislaufwirtschaft und die Durchsetzung höchster menschenrechtlicher und ökologischer Standards in Rohstoffwertschöpfungsketten umfasst.
Kreislaufwirtschaft findet bei allen Parteien Erwähnung und soll wahlweise verantwortungsvoll (CDU), pragmatisch (SPD), effektiv (Grüne) oder technologieoffen (BSW) umgesetzt werden. Daneben wollen CDU, SPD und Grüne den heimischen Rohstoffabbau fördern. Die FDP setzt sich auch hier für Deregulierung und die vollständige Abschaffung des EU-Aktionsplans für Kreislaufwirtschaft ein. Das BSW will die Versorgung mit Rohstoffen sicherstellen, in dem Deutschland sich nicht an Wirtschaftssanktionen (z.B. Russland) und Handelskonflikten (z.B. China) beteiligt.
Einzig im Wahlprogramm der Grünen und der Linken finden sich aber konkrete Ziele zur Rohstoffwende. Die Grünen wollen den Bedarf an Primärrohstoffen um die Hälfte senken, Produkte durch Ökodesignvorgaben langlebiger und reparaturfreundlicher machen und einen bundesweiten Reparaturbonus für Elektrogeräte einführen. Zur nachhaltigeren Versorgung wollen sie Rohstoffpartnerschaften an der Einhaltung der Menschenrechte und des Umweltschutzes ausrichten. Sie sind für ein Moratorium beim Tiefseebergbau.
Die Linke möchte den Rahmen der Rohstoffwende in einem Ressourcenschutzgesetz regeln. Sie möchte strengere Vorgaben für die Haltbarkeit von Produkten und eine Gewährleistungsdauer, die sich an der Lebensdauer der Produkte orientiert. Sie will Hersteller verpflichten, die Kosten für Rücknahme, Wiederaufbereitung oder Entsorgung ihrer Produkte zu übernehmen. Bergbau in Schutzgebieten oder der Tiefsee lehnt die Linke ab und betont, dass Bergbauprojekte zur nachhaltigen Wertschöpfung vor Ort beitragen müssen, von der auch die lokale Bevölkerung profitiert. Als einzige Partei will sie Müllexporte verbieten und die illegale Verschiffung von Elektroschrott intensiver bekämpfen.
Handy her!
In Berlin und Brandenburg liegen Schätze. In Schubladen und Schränken warten Millionen ausgediente Handys auf ein neues Leben. Wir sammeln sie und lassen sie fachgerecht wiederaufbereiten oder recyceln.
Globale Gerechtigkeit braucht mehr Anstrengung
Die Wahlprogramme zeigen: Bei allen Parteien ist in Sachen Globale Gerechtigkeit noch Luft nach oben. Im Vergleich mit den Programmen zur letzten Wahl ist der Abstand zu unseren Forderungen bei fast allen Parteien größer geworden. Insbesondere die Unterordnung der Entwicklungspolitik unter deutsche Wirtschaftsinteressen macht uns Sorgen. Weltweite Gerechtigkeit und die Bewältigung globaler Krisen gehen nur zusammen – mit fairen Partnerschaften mit Ländern des Globalen Südens.
Werden Sie aktiv! Machen Sie sich ein Bild von den Positionen der Parteien zu globalen Themen. Nutzen Sie Ihre Stimme! Gehen Sie wählen und setzen Sie sich für eine Politik der globalen Gerechtigkeit ein und unterstützen Sie INKOTA! Werden Sie Fördermitglied und geben uns Rückenwind, damit wir uns auch gegenüber der neuen Bundesregierung für die Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika einsetzen können. Gemeinsam können wir eine Welt gestalten, in der alle Menschen ein Leben in Würde und Gerechtigkeit führen können.
Verantwortung übernehmen für eine gerechtere Welt
Gemeinsam mit anderen entwicklungspolitischen Organisationen haben wir unsere Erwartungen an die kommende Bundesregierung in einem Positionspapier des Verbands Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (VENRO) zusammengefasst. Wir fordern die nächste Regierung auf, Verantwortung für eine gerechtere Welt zu übernehmen.