Vier Männer in Altagskleidung sprühen Chemikalien auf ein Feld
Südlink-Magazin

Auf Kosten der Gesundheit

Wie deutsche Konzerne die Doppelmoral beim Pestizidhandel aufrechterhalten

von Silke Bollmohr
Veröffentlicht 19. MÄRZ 2025

Ein deutsches Exportverbot für in der Europäischen Union verbotene hochgefährliche Pestizide war ein zentrales Vorhaben der Ampelkoalition im Bereich Landwirtschaft. Doch es scheiterte an der Blockade einer Partei, der die Interessen der Konzerne wichtiger sind als die Gesundheit der Menschen. Hauptleidtragende sind die Menschen im Globalen Süden, die den Pestiziden ungeschützt ausgesetzt werden. Aber auch im Globalen Norden sind die Folgen zu spüren.

„Es geht nicht an, dass wir nach wie vor Pestizide produzieren und exportieren, die wir bei uns mit Blick auf die Gesundheit der Menschen zurecht verboten haben. Die Menschen haben überall das gleiche Recht auf Gesundheit, das muss auch für die Bäuerinnen und Bauern in anderen Ländern gelten.“ Mit diesen Worten prangerte Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, im September 2022 die Doppelmoral des internationalen Pestizidhandels an. Doch trotz dieses klaren Statements und eines entsprechenden Versprechens im Koalitionsvertrag der Ampelregierung scheiterte das geplante Exportverbot für in der EU verbotene Pestizide in Deutschland – vor allem am Nein der FDP, die das Vorhaben mit Verweis auf wirtschaftliche Interessen und mögliche Nachteile für deutsche Unternehmen blockierte. Obwohl keine direkten Beweise für eine gezielte Einflussnahme der Agrarchemiekonzerne auf das Scheitern des Verbots vorliegen, ist auffällig, dass das Argument der FDP direkt von der Pestizidindustrie übernommen wurde. Sie hatte unter anderem vor Wettbewerbsnachteilen und dem Verlust von Arbeitsplätzen gewarnt. Die Auswirkungen auf Wirtschaft und Beschäftigung in Deutschland wären allerding gering, wie eine aktuelle Studie des Pestizid Aktions-Netzwerks und anderen aufzeigt.

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Die Doppelmoral beim Pestizidhandel bleibt bestehen – mit verheerenden Folgen für Gesundheit und Umwelt im Globalen Süden. Eine vertane Chance, zumal es unter einer neuen Bundesregierung unter Friedrich Merz (CDU) noch schwieriger werden wird, ein Exportverbot durchzusetzen. Eine neue Correctiv-Studie zeigt enge und langanhaltende Verbindungen zwischen Merz und der Chemieindustrie – BAYER und BASF werden hier explizit genannt – und warnt davor, Merz sei zu industriefreundlich.

Konzernmacht im Globalen Süden: Profit vor Gesundheit

Deutsche Agrarchemiekonzerne wie Bayer, BASF und Alzchem nutzen schwache Regulierungen im Globalen Süden, um dort Pestizide zu verkaufen, die in der EU längst verboten sind. Während in Europa strenge Sicherheitsvorkehrungen gelten, setzen sie in Ländern des Globalen Südens auf hochgefährliche Wirkstoffe, die laut WHO und FAO massive Gesundheits- und Umweltgefahren darstellen. In Kenia oder Südafrika beispielsweise nehmen sie einen beträchtlichen Marktanteil ein – oft mit den in der EU längst verbotenen Pestiziden. Oft beantragen sie für diese Produkte gar nicht erst eine Zulassung in Europa, weil sie wissen, dass sie abgelehnt würde. Stattdessen konzentrieren sie sich auf Märkte, in denen regulatorische Hürden niedriger sind und politische Einflussnahme einfacher ist.

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Während in Europa Landwirt*innen Schutzmaßnahmen und Schulungen erhalten, fehlen diese im Globalen Süden oft völlig. Arbeiter*innen setzen hochgiftige Chemikalien ohne angemessene Ausrüstung ein, was zu Vergiftungen und langfristigen Gesundheitsschäden führt. Die Konzerne rechtfertigen ihre Geschäftspraktiken mit dem Argument, dass tropische Regionen andere Schädlinge und Bedingungen hätten und dass Regierungen selbst entscheiden könnten, welche Pestizide sie zulassen. Doch in Wahrheit fehlt es vielen Ländern an wissenschaftlichen Kapazitäten und politischer Unabhängigkeit, um sich gegen den Druck der Industrie zu wehren.

Trotzdem wächst der Widerstand. Länder wie Kenia und Südafrika arbeiten an Importverboten, stoßen aber auf massiven Lobbyismus der Konzerne. Agrarindustrieverbände wie CropLife torpedieren aggressiv und systematisch die Verbotsversuche. In Kenia etwa wollte die Regierung acht hochgefährliche Pestizide verbieten, doch kurz vor Ablauf der Frist veröffentlichte die Industrie eine Studie, die massive Ertragsverluste und Hungersnöte prognostizierte – eine bewährte Angstmacherstrategie. Auch in Südafrika wehrt sich die Pestizidindustrie gegen das Regierungsverbot für Chemikalien, die als krebserregend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsschädigend eingestuft sind, und kämpft darum, 115 toxische Produkte auf dem Markt zu halten. In Nigeria sind Konzerne direkt in gesetzgebende Prozesse eingebunden und sichern sich so Einfluss auf die Zulassungspolitik.

Eine Untersuchung von Lighthouse Reports zeigt zudem, wie unter anderem die US-amerikanische PR-Agentur v-Fluence im Auftrag der Agrarchemieindustrie Kritiker*innen vor Ort diskreditierte. Um den Einsatz hochgefährlicher Pestizide wie Paraquat zu fördern, attackierte sie über Jahre hinweg gezielt Wissenschaftler*innen und NGOs und untergrub wissenschaftliche Warnungen.

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Die Doppelmoral des Pestizidhandels zeigt sich nicht nur im Export gefährlicher Stoffe in den Globalen Süden, sondern auch in deren Rückkehr nach Europa. Rückstände dieser Pestizide finden sich regelmäßig in importierten Lebensmitteln. Neueste europäische Rückstandsdaten weisen insgesamt 69 in der EU verbotene Pestizide in importierten Lebensmitteln nach. Auch wenn die Folgen für europäische Verbraucher*innen nicht mit den massiven Umwelt- und Gesundheitsfolgen im Globalen Süden vergleichbar sind, zeigt dies den globalen Charakter des Problems.

Europa darf sich nicht länger hinter wirtschaftlichen Interessen verstecken

Mit einer industriefreundlichen Regierung unter einem Bundeskanzler Friedrich Merz stehen die Chancen für ein deutsches Exportverbot schlecht. Während Frankreich und die Schweiz bereits nationale Verbote umgesetzt haben, blockieren mächtige Lobbygruppen in vielen EU-Ländern dringend notwendige Reformen. Nichtregierungsorganisationen wie INKOTA fordern allerdings nicht nur ein umfassendes Verbot der gefährlichen Agrargifte, sondern auch Unterstützung für nachhaltige Alternativen im Globalen Süden. Solange europäische Konzerne dort hochgefährliche Pestizide vermarkten, die in der EU verboten sind, bleibt der Globale Süden ein Testfeld für toxische Substanzen – mit verheerenden Folgen für Mensch und Umwelt.

Diese Praxis ist ein eklatantes Beispiel für globale Doppelmoral: Während europäische Verbraucher*innen geschützt werden, zahlen Menschen im Globalen Süden mit ihrer Gesundheit und ihrer Zukunft. Es braucht ein sofortiges und konsequentes Exportverbot, um diesen Missstand zu beenden. Millionen Leben stehen auf dem Spiel.

Europa darf sich nicht länger hinter wirtschaftlichen Interessen verstecken, sondern muss die Konzerne in Verantwortung nehmen. INKOTA setzt sich gemeinsam mit Bündnispartnern in Nord und Süd auch 2025 für ein deutsches Exportverbot ein. 

Silke Bollmohr ist Referentin für Ernährung und globale Landwirtschaft bei INKOTA.

Urheberrecht Bild: Silke Bollmohr

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