Nach der sandinistischen Revolution 1979 erreichten Frauen viele Verbesserungen. Davon ist heute nicht mehr viel übrig. Vor allem die Gewalt gegen Frauen hat in Nicaragua enorm zugelegt. Frauenorganisationen gehören seit Jahren zu den aktivsten Gegner*innen von Präsident Daniel Ortega und seiner Ehefrau und Vizepräsidentin Rosario Murillo. Deren Politik verachtet Frauen und ihre Rechte.

Am Kampf gegen die Somoza-Diktatur in Nicaragua beteiligten sich viele Frauen. Sie führten die Proteste der Studierenden an, wie Vilma Nuñez, heute Präsidentin der im Dezember 2018 verbotenen Menschenrechtskommission CENIDH, beteiligten sich an bewaffneten Aktionen der Sandinistischen Front der Nationalen Befreiung (FSLN), wie Dora María Tellez oder Nora Astorga, übernahmen wie Gioconda Belli Verantwortung in der Öffentlichkeitsarbeit der Frente Sandinista oder bauten so wie Lea Guido die Frauenorganisation AMPRONAC auf, um nur einige bekannte Namen zu nennen.

Sie alle erhofften sich mit dem Triumph der Revolution eine Verbesserung der Lage der Frauen und einen Wandel des Frauenbildes im traditionell machistischen Nicaragua. So wurden in den 1980er Jahren viele Verbesserungen vor allem im Bildungs- und Gesundheitswesen erreicht, andere Kämpfe jedoch wie der Kampf gegen die alltägliche Gewalt gegen Frauen wurden von der männlichen Führung der Sandinisten geringgeschätzt. So bildeten sich schon Mitte der 1980er Jahre erste unabhängige Frauengruppen, die diese Probleme zum Teil gegen großen Widerstand aus der FSLN in Frauenberatungszentren, Frauenhäusern und Frauengesundheitsgruppen aufgriffen.

Ortegas Pakt gegen Frauenrechte
Gewalt gegen Frauen ist bis heute ein zentrales Problem. Allein in den letzten fünf Jahren wurden 334 Frauen ermordet, sogenannte Femizide, Morde als Ausdruck machistischer Gewalt und Macht. Sexueller Missbrauch und sexuelle Gewalt vor allem gegen Minderjährige haben ein erschreckendes Ausmaß angenommen und werden normalerweise nicht verfolgt. Von staatlicher Seite gibt es kaum noch schützende Maßnahmen oder Gesetze.

Seit 2006 besteht zudem ein vollständiges Abtreibungsverbot, das selbst die sogenannte therapeutische Abtreibung im Falle von Vergewaltigung unter Strafe stellt. Treibende Kraft hinter dieser Verschärfung waren damals der jetzige Präsident Ortega und seine Ehefrau Rosario Murillo, die zur Erhöhung ihrer Wahlaussichten einen Pakt mit der katholischen Kirchenhierarchie schlossen und „die Bäuche der Frauen verkauften“. Die Botschaft war klar: Das lang erkämpfte Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper galt nicht einmal mehr bei Gefahr für das eigene Leben.

Heute zeichnet die Vizepräsidentin Rosario Murillo junge Frauen öffentlich aus, die nach einer Vergewaltigung ihr Kind behalten mussten und unfreiwillig Mutter wurden. So wurde die 15-jährige Kathy zum Muttertag 2017 von einem regierungsnahen Radiosender zur jüngsten Mutter Nicaraguas gekürt und bekam eine Matratze und einen Korb Lebensmittel geschenkt, da sie nach einer Vergewaltigung schwanger geworden war und ihr Kind ausgetragen hatte. Rosario Murillo feierte das Ereignis als religiöses Wunder. Es gab keine nennenswerte Verfolgung des Täters, geschweige denn eine Verurteilung.

Die Mutterschaft von Minderjährigen wird immer mehr zur Normalität in Nicaragua. Dies geschieht vor den Augen der Öffentlichkeit und angesichts der Untätigkeit des Staates, der eigentlich zum besonderen Schutz der Kinder und Jugendlichen verpflichtet ist, da wir alle wissen, dass die Kindheit entwicklungspsychologisch ein Moment ist, in der traumatische Erlebnisse das Leben für immer prägen. So geben heute in Nicaragua ein Drittel der Frauen zwischen 20 und 24 Jahren an, ihr erstes Kind mit unter 18 Jahren bekommen zu haben.

Das ist umso erschütternder, da alle wissen, dass Rosario Murillo ihre eigene Tochter Zoilamerica verstoßen hat, nachdem diese es 1998 gewagt hatte, den jahrelangen Missbrauch und Vergewaltigungen durch ihren Stiefvater Daniel Ortega öffentlich zu machen und ihn anzuzeigen. Aufgrund seiner Immunität und aufgrund von Verjährung kam es nie zum Prozess.

Aber wie konnte es zu dieser Entrechtung von Frauen kommen? Nicaragua war schließlich nach dem Sturz der Somoza-Diktatur 1979 in den Worten der Feministin María Teresa Blandón ein Land, „in dem die von der Revolution verkündeten moralischen und sozialen Forderungen nach Gleichberechtigung Tausende von Frauen dazu ermunterten häusliche, eheliche und soziale Einschränkungen zu durchbrechen und sich als vollwertige Bürgerinnen in die Gesellschaft einzubringen“.

Nach der Abwahl der FSLN 1990 gab es in den folgenden 16 Jahren eine deutliche Trendwende hin zu einer Erosion der Rechte der Frauen. So wurde etwa das Scheidungsgesetz, das die Auflösung der Ehe durch den Willen einer der Parteien erlaubte, in Frage gestellt. Schon während der Regierung des konservativen Präsidenten Enrique Bolaños von 2001 bis 2006 verschob sich der Fokus auf die Rechte der Familie. Die in der nicaraguanischen Verfassung verbrieften Rechte der Frauen auf Gleichberechtigung und auf Schutz der physischen und psychischen Integrität wurden immer weiter ausgehöhlt.

Schon Mitte der 1980er Jahre waren Institutionen erkämpft worden, die den Schutz der Frauen in einer breiten Zusammenarbeit zwischen Polizei, dem staatlichen Fraueninstitut (INIM) und dem Netzwerk der Frauenbewegung gegen Gewalt gegen Frauen garantieren sollten. Der Schwerpunkt der Frauenbewegung lag in diesen Jahren auf dem Empowerment von Frauen. So konnten Frauen erfahren, dass sie aus der Gewalt herauskommen können, wenn ihnen dafür Instrumente angeboten werden.

Die bereits seit 1993 existierenden Frauenkommissariate der Polizei wurden als institutionelle Unterstützung der Frauen mit Gewalterfahrung eingerichtet und arbeiteten ebenfalls nach diesem Ansatz, da ihr Personal weitgehend von Spezialistinnen aus der Frauenbewegung ausgebildet worden war. Laut Ruth Matamoros, Psychologin bei der Gruppe Venancia in Matagalpa, wurde immer auf eine wirklich horizontale Beziehung zwischen den Polizist*innen und den Frauen hingearbeitet.

Bis 2004 wurde ein landesweites Netzwerk ausgebaut, das Frauen ermöglichte, bei den Polizeikommissariaten Anzeige zu erstatten, um dann an die Frauenzentren weiterüberweisen zu werden oder umgekehrt. In dieser Phase bildeten Frauengruppen sehr viel Personal bei der Polizei aus. Ein integriertes Betreuungskonzept wurde entwickelt, das darauf abzielte, dass die betroffene Frau nur einmal die erlebte Gewalt schildern musste.

Familie ist wichtiger als Frauenrechte
Nach der Wiederwahl von Daniel Ortega im Jahr 2007 wurde die Polizei jedoch angewiesen, nicht mehr mit den Frauenzentren zusammenzuarbeiten. Staatliche Garantien gegenüber Frauen wurden Schritt für Schritt abgebaut und durch assistenzialistische Programme ersetzt. Zwar wurde 2012 das umfassende Gesetz 779 zum Schutz von Frauen vor Gewalt verabschiedet, doch schon bald wurde von der Regierung eine Art Mediation eingeführt, unabhängig von der Schwere der Aggression gegen die Frau.

Das lehnt die Frauenbewegung ab. Ruth Matamoros formulierte die Kritik so: „Wir lehnen eine verpflichtende Mediation ab, da die Frau in einer Mediation die Verantwortung für die erlebte Gewalt übernehmen und ihren Teil zur Lösung des Problems beitragen muss. Mit der Annahme eines Vergleichs gibt sie zudem ihren Anspruch auf einen Prozess auf, in dem die erlittene Gewalt sichtbar gemacht und bestraft würde. Diese Herangehensweise erleichtert es dem Staat, sich aus der Verantwortung für diese Verbrechen zu ziehen.“

Letztendlich wurde das Gesetz 779 durch ein Dekret des Präsidenten Ortega so verändert, dass jetzt nicht mehr der Schutz der Frau im Mittelpunkt steht, sondern der Schutz der Familie. Bei Gewalterfahrung ist die erste Anlaufstelle heute folglich eine Art Familienberatungsstelle, die die Aufrechterhaltung der intakten Familie zum Ziel hat. Eine Reform ganz im Sinn der unerträglichen Propaganda von Rosario Murillo.

Für Frauen ist es insgesamt schwerer geworden, ihre Rechte durchzusetzen. So verzichten viele heute darauf, Väter wegen unterlassener Unterhaltszahlungen anzuzeigen. Maria Teresa Blandón sagt hierzu: „In einer Macho-Gesellschaft wie der unseren wurden die Männer nicht dazu erzogen, eine verantwortungsvolle und liebevolle Vaterschaft auszuüben. Fast 40 Prozent der nicaraguanischen Haushalte werden nur von der Frau repräsentiert und unterhalten.”

Öffentliche Aktivitäten der Frauenbewegung zum 8. März oder zum 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen, waren von der Regierung schon lange vor 2018 behindert worden. Deshalb gab es eine große Unzufriedenheit über die Regierung und die FSLN besonders unter jungen Frauen in den Städten. Auch auf dem Land hatten sich viele Frauen dem von Francisca Ramírez angeführten Widerstand gegen den geplanten Kanalbau angeschlossen und hatten für den Erhalt der kleinbäuerlichen Landwirtschaft gekämpft.

Die Niederschlagung der Proteste am 18. April wirkte als Katalysator, der Frauen aus ganz unterschiedlichen Bereichen zum ersten Mal zusammenbrachte. So fuhren Studentinnen von der Coordinadora Universitaria zu den Straßensperren der Bauern und Frauengruppen unterstützen die Studierenden in den besetzten Unis. Die Erfahrungen und der Zusammenhalt der Frauennetzwerke wurden für die Mobilisierung genutzt. Frauen waren die Protagonistinnen dieser Proteste und viele ihrer Anführerinnen sitzen heute im Gefängnis. Insgesamt gibt es 70 weibliche politische Gefangene, zu den Bekanntesten gehören Amaya Coppens, eine junge Medizinstudentin aus Leon, Irlanda Jerez, die die Frauen auf den Märkten in Managua mobilisierte, Nelly Roque von der Studierendenbewegung in Matagalpa und die Journalistin Lucía Pineda.

Zur Autorin

Barbara Lucas arbeitete von 1980 bis 1992 beim Informationsbüro Nicaragua und ist nach 18 Jahren in Spanien Anfang 2018 nach Wuppertal zurückgekehrt.

Barbara Lucas arbeitete von 1980 bis 1992 beim Informationsbüro Nicaragua und ist nach 18 Jahren in Spanien Anfang 2018 nach Wuppertal zurückgekehrt.

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