Unternehmen müssen reagieren
Zwei Jahre nach Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes werden erste Wirkungen sichtbar. Doch das Gesetz hat mächtige Gegner
Ausbeuterische Kinderarbeit auf Kakaoplantagen in Westafrika, Unterdrückung von Gewerkschaften in Textilfabriken in Pakistan, Zwangsumsiedelungen und Verschmutzung lokaler Gewässer für den Bauxitabbau in Guinea oder Hungerlöhne für Bananenarbeiter in Ecuador – die Missstände und Menschenrechtsverletzungen in den Lieferketten deutscher Unternehmen sind so vielfältig wie die Produkte, die wir aus aller Welt importieren. Seit Januar 2023 ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraft, das hier Abhilfe schaffen soll. Aktuell wird die Überführung der im Mai 2024 verabschiedeten EU-Lieferkettenrichtlinie in deutsches Recht kontrovers diskutiert. Zeit also zu schauen, ob das Lieferkettengesetz bereits Wirkungen entfaltet.
Seit dem 1. Januar 2023 gelten mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) verbindliche Pflichten für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeiter*innen und Sitz in Deutschland zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren Lieferketten. Seit Anfang 2024 gilt das Gesetz auch für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten. Das Gesetz verpflichtet Unternehmen zum Aufbau eines umfassenden Risikomanagements, das Risiken wie Kinderarbeit, Sklaverei oder Missachtungen des Arbeitsschutzes in der Lieferkette identifiziert und Präventions- und Abhilfemaßnahmen umfasst. Außerdem müssen die Unternehmen wirksame Beschwerdesysteme entlang ihrer Lieferketten aufbauen. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) kontrolliert die Einhaltung des Gesetzes. Verstöße werden als Ordnungswidrigkeit geahndet. Unternehmen, die ihrer Verantwortung nicht nachkommen, können vom BAFA mit Bußgeldern belegt oder von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden.
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Erstmals werden Risiken in der Lieferkette untersucht
Viele Unternehmen beschäftigen sich nun zum ersten Mal überhaupt ernsthaft mit menschenrechtlichen Risiken in ihrer Lieferkette. Sie schauen, wo es Risiken gibt und wie sie auf akute Probleme reagieren können. Sie werden präventiv tätig, weil sie ein funktionierendes Beschwerdesystem vorweisen und einen jährlichen Bericht über ihre Risiken bei ihren unmittelbaren Zulieferern und Gegenmaßnahmen erstellen müssen. So sind sie gezwungen, sich zumindest mit den unmittelbaren Zulieferern genauer zu beschäftigen.
Auch für Gewerkschaften im Globalen Süden zeigen sich erste Wirkungen. Nasir Mansoor vom pakistanischen Gewerkschaftsdachverband NTUF berichtet, dass deutsche Firmen wie der Textildiscounter KiK nun zum ersten Mal seit 40 Jahren sofort auf Beschwerden wegen schlechter Arbeitsbedingungen bei pakistanischen Zulieferern reagiert haben und zu Gesprächen bereit waren, um die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken zu verbessern.
Auch die ecuadorianische Gewerkschaft ASTAC berichtet über positive Veränderungen. Über Jahre hinweg hatte sie Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen auf Bananenplantagen angeprangert, ohne dass die deutschen Supermarktketten, die die Bananen abnehmen, reagierten. Das hat sich mit Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes geändert. Auf erneute Vorwürfe haben Lidl und Aldi sich erstmals mit den Gewerkschaften vor Ort an einen Tisch gesetzt und noch 2023 erste Gegenmaßnahmen eingeleitet. Gegen Rewe und Edeka, die die Gespräche abgebrochen beziehungsweise ganz verweigert haben, hat ASTAC Beschwerde beim BAFA eingelegt. Das Verfahren läuft noch, aber ein wichtiger Teilerfolg ist die Anerkennung der ecuadorianischen Gewerkschaft als vollwertige Verfahrensbeteiligte.
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Die Tricks der Zulieferbetriebe gegen die Rechte der Arbeiter*innen
Bis die Veränderungen auch für die Arbeiter*innen im Globalen Süden spürbar werden, ist es ein steiniger Weg. Das zeigt das Beispiel der pakistanischen Textilzulieferer. Nach der Beschwerde von NTUF verpflichtete KiK seine Zulieferer, eine Vereinbarung mit der Gewerkschaft über die Zahlung von Mindestlöhnen sowie die Einhaltung des örtlichen Arbeitsrechts zu unterschreiben und der Gewerkschaft Zugang zu den Arbeiter*innen in der Fabrik zu gewähren. Doch schon bald nach der Unterzeichnung installierte der Zulieferer Mount Fuji Textiles durch eine vorgetäuschte Wahl eine genehme Arbeitnehmervertretung. Proteste der NTUF wurden abgetan und 144 Beschäftigte rechtswidrig entlassen, darunter alle, die sich über das Wahlprozedere beschwert hatten. KiK regierte lediglich mit der Beauftragung eines Audits zur Untersuchung des Falls, bei dem keine Rechtsverstöße festgestellt wurden. Damit war der Fall für KiK erledigt. Das ist leider ein verbreitetes Vorgehen, wenn es zu Problemen in der Lieferkette kommt. Immer wieder setzen Unternehmen auf unzuverlässige Sozialaudits, statt gemeinsam mit Gewerkschaften und Zulieferer nach Lösungen zu suchen. Das auf Audits oft kein Verlass ist, zeigen die Untersuchungen des US-Ökonomen Sarosh Kuruvilla, der 40.000 Sozialaudits weltweit unter die Lupe genommen hat. In Ländern wie China und Indien stufte er 50 Prozent der Audits als „unzuverlässig“ ein, weil sich die Zulieferer mit spezialisierten Beratern auf die angekündigten Prüfungen vorbereiten – bis hin zu Extremfällen, wo eine vorzeigbare Fabrik angemietet wurde, um die Prüfer herumzuführen und zu täuschen.
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Bis August 2024 sind beim BAFA 93 Beschwerden von Betroffenen eingegangen. Bisher hat das BAFA nur von einem abgeschlossenen Fall berichtet, in dem das Unternehmen „in einem angemessenen Umfang geeignete Präventions- und Abhilfemaßnahmen zur Minimierung sowie Beendigung der potenziellen Verletzungen bei seinen unmittelbaren und mittelbaren Zulieferern ergriffen“ haben soll. Wie diese Maßnahmen aussehen, geht aus den Berichten des BAFA nicht hervor. Miriam Saage-Maaß, Chefjuristin bei der Menschenrechtsorganisation ECCHR, befürchtet, dass das BAFA Unternehmen noch zu viel Raum gibt und es als ausreichend anerkennt, wenn Unternehmen überhaupt irgendetwas in Bezug auf Menschenrechte in ihren Lieferketten tun.
Neben Beschwerden erhielt das BAFA über 100 Hinweise von Dritten zu Pflichtverletzungen von Unternehmen. Diesen geht die Behörde ebenso nach wie Medienberichten über Menschenrechtsverletzungen. Vielleicht der bekannteste Fall ist der der 80 streikenden Lastwagenfahrer an der Autobahn-Raststätte Gräfenhausen in Hessen. Die Fahrer aus Usbekistan, Georgien, Kasachstan und Tadschikistan waren bei polnischen Speditionen der Masur-Gruppe unter Vertrag. Zwei Monate forderten sie die Auszahlung vorenthaltener Löhne – insgesamt mehr als 500.000 Euro. Das BAFA prüfte die Situation im September 2023 vor Ort und stellte anhand der Frachtpapiere fest, dass die Auftraggeber verschiedene deutsche Unternehmen waren, die unter das LkSG fallen. Sie wurden einbestellt und aufgefordert, sich um eine Lösung des Falles zu bemühen. Nur wenige Tage später erhielten die Fahrer ihr Geld, die Anzeigen gegen sie wurden zurückgezogen. Das neue Gesetz zeigte zum ersten Mal unmittelbare Wirkung auch für die Betroffenen.
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jetzt lesenWegbolzen mit der Kettensäge
Trotzdem werden einige Wirtschaftsverbände nicht müde, das Lieferkettengesetz als „Bürokratiemonster“ zu verteufeln. Dabei sind ihnen insbesondere die Berichtspflichten ein Dorn im Auge. Aus Sicht von Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen sind die öffentlichen Berichte aber essenziell, um das Engagement der Unternehmen zu überprüfen.
Bundeswirtschafsminister Robert Habeck stellt dagegen die Berichtspflichten gänzlich in Frage. Bereits im Juni hatte er sich beim „Tag der Familienunternehmen“ dafür ausgesprochen, das LkSG für zwei Jahre auszusetzen, bis das EU-Lieferkettengesetz in deutsches Recht überführt wird. Anfang Oktober legte er nach und forderte mit Bezug auf die Berichtspflichten, die „Kettensäge anzuwerfen und das ganze Ding wegzubolzen“. Und nur zwei Wochen vor dem Ampel-Aus versprach Bundeskanzler Olaf Scholz beim Arbeitgebertag: „Das kommt weg. Dieses Jahr noch.“
Wenn es aber keine Berichtspflichten mehr gibt, kehren wir zurück zur Blackbox Lieferkette und vertrauen darauf, dass Unternehmen freiwillig Verantwortung für Menschenrechte und Umweltschutz in der Lieferkette übernehmen. Dabei hatte gerade die Einsicht, dass das Prinzip „Freiwilligkeit“ gescheitert ist, zur Verabschiedung des deutschen Lieferkettengesetzes mit Unterstützung der SPD geführt. Den Grünen ging das Gesetz damals nicht weit genug.
Der grüne Vizekanzler stößt mit seinen Äußerungen nicht nur seine eigene Partei vor den Kopf, sondern auch viele Unternehmen, die sich bereits auf den Weg gemacht haben, ihre Lieferketten fair und ökologisch zu gestalten, und in Nachhaltigkeit investiert haben. Eine Aussetzung des Lieferkettengesetzes würde außerdem alle Unternehmen bestrafen, die bereits Strukturen zur Umsetzung geschaffen und gezeigt haben, dass es geht.
Echte Veränderung braucht Zeit. Angesichts der Komplexität globaler Lieferketten wird es also noch einige Zeit dauern, bis das Lieferkettengesetz seine volle Wirkung entfaltet. Die Politik kann diesen Prozess aber beschleunigen, indem sie verlässlich Rahmenbedingungen schafft und die Unternehmen bei der Umsetzung unterstützt, statt Unsicherheit zu schüren und das Gesetz durch widersprüchliche Aussagen zu zerreden. Gut umgesetzt, kann dies zu einem klaren Wettbewerbsvorteil für deutschen Unternehmen werden.
Arndt von Massenbach ist politischer Geschäftsführer von INKOTA.