Südlink-Magazin

Eine Geschichte bitteren Kaffees

Für einen deutschen Kaffeekonzern hat Ugandas Armee einst viele Familien vertrieben. Betroffene klagen auf Entschädigung – bis heute erfolglos. 

von Simone Schlindwein
Veröffentlicht 2. SEPTEMBER 2024

Die Neumann Kaffee Gruppe aus Hamburg hat 2001 in Uganda Land erworben, um eine Kaffeeplantage anzulegen. Mit Gewalt hat Ugandas Armee damals rund 2.000 Menschen vertrieben. Bis heute klagen die Bauern vor Gericht – ein 22-jähriges Marathonverfahren.  

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Südlink 209 - Kaffee
Von Ausbeutung und dem Kampf für faire Preise
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Südlink 209 - Kaffee
Von Ausbeutung und dem Kampf für faire Preise
Weltweit wird heute Kaffee konsumiert. Seine Anbaubedingungen haben sich seit den Kolonialzeiten jedoch nur wenig verändert. Selten nur wird Rücksicht genommen auf die Natur und die Menschen, die in den Kaffeeplantagen…

Enttäuschung steht Peter Kayiira ins Gesicht geschrieben. Der 62-Jährige steht im Hof des Hohen Gerichts in Ugandas Kleinstadt Mubende und erklärt seinen Mitstreiter*innen, warum der Verhandlungstermin wieder einmal vertagt wird: „Der Richter wurde versetzt“, sagt er. Der nächste Termin sei im Oktober. „Damit verlieren wir wieder ein halbes Jahr.“  

Die rund zwei Dutzend Bauern und Bäuerinnen, die um den kleinen Mann herumstehen, nicken. Sie alle haben sich an diesem Morgen aus ihren Dörfern nach Mubende aufgemacht und sich ihre schwarzen T-Shirts übergestreift, die sie jüngst haben drucken lassen. „22 Jahre Kampf für Gerechtigkeit – für umsonst!“, steht darauf. Darunter sieht man einen Bauern, der eine Erdkugel als Last trägt. Darin sind die deutsche und die ugandische Flagge abgedruckt.  

Über 22 Jahre prozessieren die Bauern bereits: Sie haben im Jahr 2002 sowohl die ugandische Regierung verklagt, als auch den deutschen Kaffeekonzern Neumann Kaffee Gruppe (NKG), beziehungsweise dessen ugandischen Ableger, die Kaweri Coffee Plantation. Der Grund: 400 Familien wurden 2001 vertrieben, um einer rund 2.500 Hektar großen Plantage Platz zu machen. Bis heute wurde ihnen keine Entschädigung bezahlt.  

„Wir werden jetzt nicht aufgeben“, sagt Kayiira. Der ehemalige Lehrer war zur Zeit der Vertreibung der einzige, der genug Englisch sprach, um vor Gericht zu ziehen. Eine Klage, der sich 400 Familien mit über 2.000 Angehörigen anschlossen. Man merkt ihm an: Daraus ist eine Lebensaufgabe geworden.  

Jetzt haben die Bauern neue Hoffnung: Das Hohe Gericht will das Verfahren neu aufrollen. Doch die Termine werden stetig verschoben.  

Immerhin: Im Mai war eine Delegation des deutschen Bundestags zu Besuch. Die Bauern haben den Abgeordneten aus Berlin eine Petition überreicht. Darin bitten sie die Bundesregierung, dass der „endlose Gerichtsprozess endlich schnell und zügig verhandelt wird“. Sie hoffen, dass die Bundesregierung nach Inkrafttreten des Lieferkettenschutzgesetzes Anfang 2023 Druck macht, die Menschenrechte einzufordern.  

Zurück in Berlin wandte sich die Abgeordnete Cornelia Möhring von der Partei Die Linke an das zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. „Hat die Bundesregierung Kenntnis von dem Fall der gewaltsamen Vertreibung von über 4.000 Menschen durch die ugandische Armee von ihrem Land im Jahr 2001?“, so ihre Anfrage. „Hat die Neumann Kaffee Gruppe oder eine ihrer Tochterfirmen von 2001 bis heute staatliche Unterstützung des Bundes erhalten?“, will sie wissen. 

In einer Antwort vom 11. Juni heißt es: Man verfolge die „Entwicklungen in Kaweri seit über 20 Jahren aufmerksam“. Das Ministerium räumt ein: Die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) habe Neumann mit rund einer halben Million Euro für Projekte in Lateinamerika und Asien unterstützt und die GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) setze mit Neumann Projekte im Wert von über drei Millionen Euro um, auch in Ostafrika. Das Lieferkettenschutzgesetz könne jedoch nicht rückwirkend angewandt werden.  

Peter Kayiira will auch nach 22 Jahren nicht aufgeben. Vor dem Gericht in Mubende schultert er seinen Rucksack voller alter Landkarten und Grundbucheinträgen, die als Beweise wichtig sind, und schwingt sich auf sein Motorrad, um nach Hause zu fahren.  

Der Weg führt über sich wellende Hügel. Rechts und links wachsen Maisstengel so weit das Auge reicht. „Dies ist das Land, das angeblich gekauft wurde, um uns umzusiedeln“, sagt er und zeigt auf die Maisfelder. Dort steht kein einziges Haus, kein einziger Brunnen, kein einziger Strommast. „Wo hätten wir hier denn bitte leben können?“, fragt Kayiira und fährt weiter.  

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Das angekratzte Image eines weltweit tätigen Konzerns 

In Uganda kommt es ständig zu Landkonflikten. Gewaltsame Vertreibungen sind an der Tagesordnung. Laut Verfassung dürfen ausländische Firmen gar kein Land kaufen, sondern nur auf bestimmte Zeit pachten. Deswegen hat Ugandas Investmentbehörde im April 2001 im Auftrag von Neuman die 2.500 Hektar in Mubende erworben, um sie dann an Neumann zu verpachten. Das Grundstück gehörte einem Großgrundbesitzer: Emmanuel Kayiwa, der dafür rund 350.000 US-Dollar erhielt.  

Laut diesem Vertrag verpflichtet sich Kayiwa, dass er Land als Ersatz erwirbt, um die Familien umzusiedeln. Dazu überwies Neumann ihm vorweg 12.000 Euro. Der Grundbuchauszug dieses Ersatzlandes ist ein vergilbtes Dokument. Es wurde im Jahr 1957 noch zu Kolonialzeiten erworben und 2010 weiterverkauft. Kayiwa ist darin nicht als Käufer aufgeführt.  

Neumann selbst legt Wert auf gutes Image: Das Hamburger Traditionsunternehmen gilt mit 60 Tochtergesellschaften in 27 Ländern als der führende Konzern im Bereich Rohkaffee und betreibt Plantagen in Mexiko, Brasilien und in Uganda. Im eigenen Code of Conduct, der 2023 im Vorfeld des Lieferkettenschutzgesetzes neu aufgelegt wurde, versichert Firmenchef David Neumann: Die Verantwortung „füreinander, sowie gegenüber den Lieferanten, lokalen Gemeinschaften und Kunden“ werde „ernst“ genommen. 

Zum Rechtsstreit in Uganda will Neumann kein Interview geben. Fragen werden nur per E-Mail beantwortet. Darin wird klargestellt: Man hätte sich von Beginn an mit der ugandischen Regierung darauf verständigt, dass „nur sogenanntes clean title land für eine spätere Pacht infrage kommt – also Land, das frei von Ansprüchen dritter Parteien ist“, so Neumann und verweist auf ein Schreiben von Ugandas Investmentminister. Dieser bestätigt: Neumann habe „niemals Leute von dem besagten Land vertrieben und alle seien voll und angemessen entschädigt“ worden.  

Doch diese Entschädigung kam bei Peter Kayiira und den anderen vertriebenen Familien niemals an. Sie kämpfen bis heute darum. Auf dem Weg zur Plantage, wo einst sein Haus stand, passiert er einen Schlagbaum. Private Wachmänner inspizieren jedes Fahrzeug. Kayiira grüßt und erntet finstere Blicke.  

Die Plantage zieht sich über zahlreiche Hügel. Kaffeesträucher in Reih und Glied – so weit das Auge reicht. In den Gewächshäusern werden 70.000 Setzlinge gezogen. Die Waschstation kann tonnenweise grüne Kaffeebohnen pro Stunde verarbeiten. Anschließend werden diese in der Sonne getrocknet, bevor sie in Säcke verpackt in alle Welt exportiert werden. Mit einem Umsatz von über 14 Millionen Säcken jährlich beherrscht Neumann mehr als zehn Prozent des weltweiten Kaffeehandels, der Hamburger Konzern ist damit der weltweit größte Kaffeehändler.  

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Eine Geschichte von Betrug und Vertreibung 

Kayiira lebt heute in einer armseligen Lehmhütte, am Rande der Plantage. Alles, was er einst besaß, hat er verloren. Wenn er seine Geschichte erzählt, stehen ihm Tränen in den Augen. Er kann sich noch gut an das erinnern, was 2001 geschah, sagt er und setzt sich in den Schatten eines Mangobaums. Aus seinem Rucksack kramt er Unterlagen hervor. Darunter ein Schreiben vom Juni 2001 der Anwälte des ehemaligen Landeigentümers Kayiwa an den Vorsteher jener Gemeinde, auf der die Plantage errichtet werden soll. Darin ist von Dringlichkeit die Rede: „Wir fordern sie auf, ihre politische Autorität einzusetzen, die Leute anzuhalten, das Land so bald wie möglich zu räumen“, steht darin. Der Investor wolle im September mit der Arbeit beginnen. Das Projekt sei von „strategischer Wichtigkeit“.  

Daraufhin rief der Ortsvorsteher alle Betroffenen zu einer Versammlung ein. In einer Zeugenaussage vor Gericht bestätigt er später, dass am 18. Juni 2001 auch Vertreter der Investmentbehörde sowie zwei Vertreter aus Deutschland anwesend waren. Den Bauern wurde gesagt, sie sollen ihre Ernte einholen – aber nicht mehr neu anpflanzen. Stattdessen wurde ihnen versichert, dass sie Entschädigung für ihr Eigentum erhalten: Häuser, Ställe, Nutzpflanzen. Als Frist wurde ihnen der 31. August gesetzt. „Das waren gerade einmal sechs Wochen“, so Kayiira 

Dann wurde diese Frist auch noch vorverlegt. Am 7. August sei dem Gemeindevorsteher mitgeteilt worden, dass Ugandas Präsident Yoweri Museveni nach Mubende reisen werde, um Firmenchef Neumann die Plantage zu übergeben: Bis zum 15. August müsse das Land geräumt sein. Das Treffen, bei welchem den Bauern die neue Frist mitgeteilt wurde, sei „im Chaos geendet“, weil die Bauern „erzürnt“ waren. Auch Kayiira erinnert sich: „Ich wurde an jenem Abend von Soldaten festgenommen.“  

Von da an musste alles schnell gehen. Soldaten seien „wenige Tage später“ mit einem Bulldozer angerückt. „Häuser wurden zerstört, Menschen geschlagen und Nutztiere getötet“, so der Dorfchef. Er bestätigt, dass bis zu diesem Moment keinerlei Entschädigungen geleistet worden seien. Stattdessen seien die Familien unter „vorgehaltener Waffe gezwungen worden, bereits ausgefüllte Formulare zu unterzeichnen, dass sie das Land freiwillig geräumt hätten und entschädigt worden seien.“  

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Als dann am 23. August Präsident Museveni und Firmenchef Neumann beim Spatenstich die ersten Setzlinge pflanzten, seien die Bauern „von Sicherheitskräften von der Zeremonie ferngehalten worden.“ Fotos zeigen: Die Vertriebenen hausten im angrenzenden Wald im Unterholz. Aus Wellblechen hatten sie sich notdürftig Unterkünfte errichtet. Verzweiflung steht in ihren Gesichtern.  

„Wir wussten nicht, wie es weitergehen soll“, nickt Kayiira und zeigt auf seine Hütte: „Ich hatte Glück“, sagt er. „Das Grundstück meines Onkels lag außerhalb der Plantage“. Hier konnte er sich niederlassen. „Doch ich entschied, dass wir dieses Unrecht nicht dulden dürfen.“ Also sammelte er Unterschriften und reichte eine Sammelklage ein.  

Seitdem wird der Prozess nach aller Kunst verschleppt. Noch bevor die erste Anhörung 2005 anberaumt ist, wird Hauptkläger Kayiira erneut verhaftet und sitzt monatelang im Gefängnis. Die Neumann-Tochter Kaweri weist von vornherein die Klage zurück: Sie sei ja nicht für die Vertreibung verantwortlich. Im Jahr 2008 bestätigt der Richter: Die Deutschen müssten sich den Anschuldigungen stellen.  

2013 fällt das erste Urteil. Darin wird Kaweri zu einer Entschädigungszahlung von elf Millionen Euro verpflichtet wegen „Verletzung der Werte und Rechte der Betroffenen“. Der Firma sei „jeder Sinn der Menschlichkeit verlorengegangen“, so der Richter. Ugandas Regierung hingegen wird freigesprochen. Dabei hatten die Kläger nachweisen können, dass sie von Soldaten vertrieben worden waren. Kaweri legte Widerspruch ein, forderte die Suspendierung des Richters.  

„Ich reiste damals das erste Mal nach Deutschland“, erinnert sich Kayiira. Mit Hilfe der deutschen Menschenrechtsorganisation FIAN (Food First Information and Action Network) beschweren sich die Bauern 2009 bei der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), die Leitlinien für multinationale Unternehmen entwickelt hat. Im Zuge dessen wird die Option einer außergerichtlichen Einigung erwogen. 2015 wenden sie sich mit FIANs Hilfe an das UN-Komitee für Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte (CESCR). Dieses „empfiehlt“, die Bundesregierung solle diplomatische Mittel einlegen, damit die Betroffenen Gerechtigkeit erhalten.  

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Der längste Gerichtsprozess in der Geschichte Ugandas 

Doch erst 2017, auch auf Druck der deutschen Regierung hin, legen Vertreter des ugandischen Präsidenten den Klägern ein Angebot vor: Sie sollen sich außergerichtlich einigen. Über die genaue Summe wird weitere zwei Jahre verhandelt. Die Betroffenen verlangen 30 Millionen Euro. Das Angebot des Staatsanwaltes lautet: weniger als eine Million Euro.  

Nur 258 der rund 400 Familien sind bereit, diesen Deal einzugehen. Kurz zuvor wird Hauptkläger Kayiira erneut verhaftet. „Sie beschuldigten mich, die Leute anzustacheln, sich nicht darauf einzulassen“, erklärt er.  

Alle weiteren Anhörungen verzögern sich dann aufgrund der Corona-Pandemie. Erst 2022 ordnet der Richter an, Ugandas Regierung solle die außergerichtliche Entschädigung bis Juni an die 258 Familien ausbezahlen. Doch auch dies ist bis heute nicht geschehen, sagen die Betroffenen.  

143 Klägern, allen voran Kayiira, ist dies nicht genug. Sie bestehen auf den ursprünglichen Forderungen, ihr Land zurückzubekommen. Ihre Klage wurde 2022 an das Hohe Gericht in Mubende überstellt – mit der Auflage, den Prozess ganz neu aufzurollen. Mit neun prallvollen Aktenordnern ist Anwalt Francis Katabalva von Kampala an jenem Morgen im Juni nach Mubende gefahren. Der Anzug sitzt, aber das Gesicht wirkt zerknittert: „Das war sehr viel Arbeit“, seufzt er und guckt entsetzt, als er erfährt, dass der Richter nicht zum Termin erscheinen wird: „Wie soll es auch anders sein?“, lacht er sarkastisch.  

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Als er zum ersten Mal mit dem Fall zu tun hatte, war er ein junger Gehilfe in der Kanzlei. Mittlerweile ist er Partner und hat das Verfahren immer noch an der Backe. „Ich kann mit Stolz sagen, am längsten Prozess in Ugandas Rechtsgeschichte teilzunehmen“, schmunzelt er.  

22 Jahre sind eine lange Zeit. Mittlerweile sind 29 der 400 Kläger*innen verstorben. Deren Kinder führen das Verfahren fort. „Die Vertreibung hat auch mein Leben zerstört“, berichtet der 35-jährige Richard Kafuuma. Er war zum Zeitpunkt der Vertreibung gerade einmal 13 Jahre alt. Seitdem ist er nie wieder zur Schule gegangen, weil seine Eltern kein Geld mehr hatten für die Schulgebühren. Die Hoffnung auf eine Entschädigungszahlung hat er aufgegeben und sagt: „Wir wollen doch nur Gerechtigkeit.“ 

 

Simone Schlindwein ist Korrespondentin der tageszeitung für Zentral- und Ostafrika und Redakteurin des Südlink. 

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