Südlink-Magazin

Wenn die Nieren versagen

In El Salvador verursachen Pestizide vor allem in den Zuckerrohranbaugebieten schwere Krankheiten und viele Todesfälle

von Gloria Silvia Orellana
Veröffentlicht 21. SEPTEMBER 2020

Knapp zehntausend Menschen sind im zentralamerikanischen El Salvador in den vergangenen zehn Jahren an chronischer Niereninsuffizienz gestorben. Die Todesfälle hängen direkt mit der Ausweitung der Anbaufläche für Zuckerrohr zusammen, das Arbeiter*innen häufig ohne Schutzkleidung mit Pestiziden besprühen.

Die Ermattung in Oscar Grande López‘ Stimme ist unüberhörbar. Und dies obwohl er kaum älter als dreißig Jahre ist. Von diesen hat ihm die chronische Niereninsuffizienz acht entrissen. Schon seit fünf Jahren ist er arbeitslos und kommt kaum noch aus seinem Haus im Weiler La Sambunbera im Landkreis San Luis Talpa in der Provinz La Paz, El Salvador.

„Meine Nierenkrankheit haben sie im Jahr 2012 erkannt. Ich war knapp 25 Jahre alt, als ich große Schmerzen im Steißbein bekam und regelmäßig zur Untersuchung in den lokalen Gesundheitsposten musste“, erzählt Oscar Grande. Doch schon im Dezember 2015 wurde es so schlimm, dass er eine Dialyse benötigte. „Seitdem muss ich zwei Mal pro Woche ins Rosales-Krankenhaus nach San Salvador, wo ich jeden Montag und Donnerstag eine Dialyse bekomme.“

Südlink 193 - Gefährliche Pestizide
Für eine Landwirtschaft ohne Agrargifte
Südlink 193 - Gefährliche Pestizide
Für eine Landwirtschaft ohne Agrargifte
Millionen Menschen erleiden jedes Jahr eine Pestizidvergiftung. Und doch weigern sich Agrarkonzerne, die Herstellung hochgefährlicher Agrargifte einzustellen. Manche sind krebserregend, andere schädigen das Erbgut oder sind eine Gefahr für das Kind im Mutterleib. Und viele sind eine…

Der kleine Landkreis San Luis Talpa liegt gut siebzig Kilometer von der Hauptstadt San Salvador entfernt und ist traditionell vor allem durch Landwirtschaft und Viehzucht geprägt. Im vergangenen Jahrzehnt hat der Zuckerrohranbau enorm an Bedeutung gewonnen.

In El Salvador mit seinen gut 21.000 Quadratkilometern Fläche und etwa 6,5 Millionen Einwohner*innen gibt es auf dem Land viel zu wenige Arbeitsplätze. Die männlichen Jugendlichen und Erwachsenen arbeiten häufig als Hilfsarbeiter oder Tagelöhner in der Landwirtschaft. Häufig „im Zuckerrohr“, wo sie für die Aussaat, das Besprühen der Pflanzen mit Pestiziden und die Ernte zuständig sind.

In den letzten Jahren ist die Anbaufläche stetig angewachsen, im vergangenen Jahr lag sie bereits bei etwa 120.000 Manzana (84.000 Hektar; Anm. der Red.), wobei auf nur gut 100 Unternehmen mehr als 40 Prozent des Zuckerrohrs entfallen. Noch stärker ist die Konzentration bei der Verarbeitung: Nur sechs Raffinerien kontrollieren den gesamten Markt, allein ein Drittel davon die  „Central Izalco“ der Familie Regalado.

Oscar Grande gehört zu einer von zehntausenden Familien auf dem Land, die in prekären Verhältnissen leben und sich mit informellen Jobs durchschlagen. Der Lohn für einen ganzen Arbeitstag liegt bei nur fünf US-Dollar (umgerechnet etwa 4,30 Euro; Anm. der Red.), ohne Gesundheitsversorgung und ohne die Möglichkeit, in eine Rentenkasse einzuzahlen.

Pestizide verursachen Niereninsuffizienz

„Meine Krankheit kommt von den Pestiziden, die ich versprüht habe. Das tat ich, weil wir so arm sind, und weil ich ein wenig mehr verdienen wollte, habe ich sehr lange gearbeitet“, berichtet Oscar Grande. Täglich versprühte er auf sieben Hektar zehn Ladungen giftiger Pestizide aus einem Tank am Rücken, bis er eines Tages krank wurde: „Beinahe wäre ich gestorben. Zuerst bekam ich eine Bauchfelldialyse, aber dann hat sich der Katheter entzündet und ich musste operiert werden. Danach haben sie mit der Dialyse begonnen.“

Die „nicht-traditionelle chronische Nierenkrankheit“, wie sie in El Salvador genannt wird, ist für Oscar Grande eine höchst leidvolle Krankheit mit ungewissem Ausgang. Nicht nur aufgrund seiner Abhängigkeit von Medikamenten und der regelmäßigen Dialyse, sondern auch weil sie im Lauf der Jahre seine Familie zerstört hat. „Im Juni kam mein Vater ins Rosales-Krankenhaus und bekam eine Bauchfelldialyse. Nach zwei Durchgängen gab es Komplikationen und nach 19 Tagen im Krankenhaus war er tot. 2012 starb bereits mein Bruder Medardo an der Krankheit. Und meinem anderen Bruder Juan Francisco geht es genau wie mir, auch er hat die chronische Nierenkrankheit“, sagt Grande.

Meine Krankheit kommt von den Pestiziden, die ich versprüht habe. Das tat ich, weil wir so arm sind, und weil ich ein wenig mehr verdienen wollte, habe ich sehr lange gearbeitet. Beinahe wäre ich gestorben. Zuerst bekam ich eine Bauchfelldialyse, aber dann hat sich der Katheter entzündet und ich musste operiert werden. Danach haben sie mit der Dialyse begonnen.
Oscar Grande López

Durch die Covid-19-Pandemie hat sich die Lage für ihn und viele andere, die auf Dialyse angewiesen sind, noch weiter verschlechtert. Die Krankenhäuser haben weniger Kapazitäten für all jene, die an chronischen Erkrankungen leiden. Lebenswichtige Medikamente wurden knapp und zeitweise fuhren auch keine Busse mehr in die Hauptstadt. Wie in ganz Lateinamerika hat auch in El Salvador die Armut binnen Kurzem enorm zugelegt. Vor allem auf dem Land verschlechterte sich die Ernährungssicherheit deutlich.

Gut geht es hingegen den Besitzern der großen Zuckerrohrplantagen. Während kleine Landwirt*innen wegen des landesweit verhängten Notstands große Schwierigkeiten mit der Aussaat hatten, bereiten sich die Plantagenbesitzer auf eine gute Ernte vor, wie aus Daten der „Zuckervereinigung El Salvadors (Asociación Azucarera de El Salvador, AAES) hervorgeht. Um 15 Prozent soll die nächste Ernte im Vergleich zum Vorjahr auf 17 Millionen Quintales (über 830.000 Tonnen; Anm. der Redaktion) steigen“, so Julio Arroyo, geschäftsführender Direktor der AAES.

Die chronische Niereninsuffizienz hat in den letzten zwanzig Jahren in ganz Zentralamerika immer schlimmere Ausmaße angenommen. In El Salvador wurde die Krankheit von der von 2009 bis 2019 regierenden FMLN (Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí) zu einem Thema des Gesundheitswesens, wie Eduardo Espinoza, damals Vizegesundheitsminister, erläutert. Verschiedenen Studien wurden erstellt und 2014/2015 in einer landesweiten Befragung Daten zu mehreren weit verbreiteten chronischen Krankheiten gesammelt.
Demnach befanden sich nach Angaben des Gesundheitsministeriums mehr als 450.000 Menschen in El Salvador in einer der fünf Etappen der chronischen Niereninsuffizienz. Bei dieser Krankheit verlieren die Nieren nach und nach ihre Fähigkeit, das Blut zu filtern. Allein 26.000 Menschen befanden sich in Etappe fünf und waren auf eine Dialyse angewiesen. Im Jahr 2017 war El Salvador prozentual das Land mit den höchsten Zahlen an Dialysen und Nierentransplantationen in Zentralamerika, erklärt Eduardo Espinoza.

Um herauszufinden, wo die hohen Krankheitszahlen herkamen, führte die FMLN-Regierung in den Jahren 2010 bis 2012 eine große Studie mit 1.306 Familien aus den am stärksten betroffenen Regionen des Landes durch. Das kubanisch-salvadorianische Team fand unter anderem heraus, dass die Erkrankung in den meisten Fällen nicht auf die traditionellen Ursachen oder Vorerkrankungen zurückzuführen war. „Deshalb auch die Bezeichnung nicht-traditionelle chronische Nierenkrankheit. Nach und nach konnten wir alle wahrscheinlichen Ursachen ausschließen, bis alles darauf hindeutete, dass die Ursachen in Pestiziden und anderen Agrargiften zu suchen sind“, so Eduardo Espinoza.

Innerhalb weniger Jahre verdoppelte das Gesundheitsministerium die Dialysekapazitäten in den Krankenhäusern des Landes. Von Beginn an standen starke wirtschaftliche Interessen einer angemessenen Strategie im Umgang mit der nicht-traditionellen chronischen Nierenkrankheit entgegen. Vor allem die Zuckeranbauer, die Unternehmen, welche mit Agrargiften handelten, und die Hersteller der Agrargifte stellten sich quer.

„Schätzungsweise neun Millionen Menschen weltweit haben keinen Zugang zu den nötigen Therapien bei chronischer Niereninsuffizienz. Und Jahr für Jahr sind zwischen 11 und 15 Prozent zusätzlich von der Pandemie betroffen“, sagt Eduardo Espinoza.

Auch für El Salvador sind die Zahlen verheerend. Nach Daten des Gesundheitsministeriums und der Sozialversicherung sind in den letzten zehn Jahren 9.900 Menschen an chronischer Niereninsuffizienz gestorben. Da sehr viele derer, die erkranken, aus sehr armen Verhältnissen stammen und nur eine geringe Schulbildung haben, können sie die Symptome nicht einordnen – so wird ihre Erkrankung häufig erst in einem zu späten Stadium festgestellt. Die Zahl der chronischen Nierenerkrankungen ist dort am höchsten, wo die großen Zuckerrohranbaugebiete sind.

Es mangelt an Schutzkleidung

Diesen engen Zusammenhang der Zunahme der chronischen Niereninsuffizienz und der Ausweitung der Anbaufläche für Zuckerrohr in El Salvador sehen auch verschiedene Nichtregierungsorganisationen, die das Verbot gefährlicher Agrargifte fordern. „Eigentlich gibt es in El Salvador Gesetze, welche die Anwendung verschiedener Agrargifte verbieten, doch sie werden nicht angewandt“, erklärt Luis González von der Umweltorganisation UNES. „Manche Agrargifte dürften eigentlich nur mit Spezialkleidung ausgebracht werden, wie wir sie jetzt in Zeiten der Coronapandemie beim medizinischen Personal in den Krankenhäusern sehen. Doch auf dem Land hat niemand solche Schutzanzüge.“

Abo

Abonnieren Sie den Südlink

Im Südlink können Autor*innen aus dem Globalen Süden ihre Perspektiven in aktuelle Debatten einbringen. Stärken Sie ihnen den Rücken mit Ihrem Abo: 4 Ausgaben für nur 18 Euro!

Das Landwirtschaftsministerium El Salvadors hat schon vor einigen Jahren den Einsatz einer ganzen Reihe von Agrargiften verboten. Doch weiterhin sind im Agrarhandel einige der giftigsten zu finden, die auch „das dreckige Dutzend“ genannt werden, darunter Glyphosat und Paraquat.

„2013 hatten wir bereits einmal eine Mehrheit im Parlament für ein Verbot von 54 Pestiziden erreicht. Doch der damalige Präsident Mauricio Funes legte ein Veto dagegen ein“, erinnert sich Luis González. Vor etwa drei Jahren begann eine ganze Reihe von Organisationen, die im „Runden Tisch für Ernährungssouveränität“ zusammenarbeiten, eine neue Kampagne für das Verbot gefährlicher Pestizide. „Wir luden Wissenschaftler*innen aus anderen Ländern ein, die in der Kommission für Umweltschutz und Klimawandel des Parlaments über die Gefährlichkeit der Agrargifte informierten“, erzählt González. „Auch mit der Gesundheitsministerin und dem Landwirtschaftsminister gab es Treffen, die sich beide sehr interessiert zeigten. Was folgte, war eine starke Kampagne des Verbands der Zuckerrohrindustrie, die behauptete, dass mit so einem Verbot die Landwirtschaft zusammenbrechen würde und viele Arbeitsplätze verloren gingen.“

Dabei veröffentlichte auch die staatliche Ombudsstelle für Menschenrechte PDDH einen Bericht über den Zusammenhang von Agrargiften und Chronischer Niereninsuffizienz.

„Für UNES und den Runden Tisch für Ernährungssouveränität, bei dem wir aktiv sind, ist das Thema Agrargifte in der aktuellen Konjunktur noch wichtiger geworden: In Zeiten von Covid-19 ist sauberes Wasser für die Hygiene und als Trinkwasser von besonderer Bedeutung. In vielen ländlichen Gemeinden ist das Wasser jedoch stark durch Agrargifte verunreinigt. Das darf nicht so bleiben. Auch deshalb haben wir den Kampf gegen die hochgefährlichen Pestizide nun wieder aufgenommen.“

Beim Zuckerrohr sind dies vor allem Paraquat und Glyphosat. Letzteres wird in großen Mengen aus Flugzeugen versprüht. Der Wind trägt das Agrargift auch in die direkt an die Zuckerrohrfelder grenzenden Gemeinden und kontaminiert dort das Grundwasser. Auch deshalb erkranken in den Anbauregionen nicht nur Männer, die auf den Zuckerrohrplantagen arbeiten, sondern auch viele Frauen und alte Menschen.

Aus dem Spanischen von Michael Krämer.

Gloria Silvia Orellana ist Journalistin bei der salvadorianischen Tageszeitung „Diario Co Latino“.

Gloria Silvia Orellana ist Journalistin bei der salvadorianischen Tageszeitung „Diario Co Latino“.

Ihre Spende hilft!

INKOTA-Spendenkonto
IBAN DE 06 3506 0190 1555 0000 10
BIC GENODED1DKD

Hier können Sie für ein Projekt Ihrer Wahl oder zweckungebunden spenden: