Südlink-Magazin

Rohstoffhungrige Digitalisierung

Das Zeitalter von Industrie 4.0 hat enorme Auswirkungen auf den Bergbau – und erfordert dringend eine Rohstoffwende

von Hobi und Siever
Veröffentlicht 27. JANUARY 2021

Die Digitalisierung macht’s möglich: Eine neue industrielle Revolution ist in vollem Gange. Für diese werden riesige Mengen spezifischer Rohstoffe benötigt, die unter menschenrechtlich, sozial und ökologisch unzulänglichen Bedingungen abgebaut werden. Ebenso verändert der Bergbau sich selbst. Betroffene Gemeinschaften werden zum Produktionsrisiko degradiert, ihre Rechte immer mehr verletzt. Eine Kehrtwende ist dringend geboten.

Die Digitalwirtschaft ermöglicht mit High-Tech-Geräten, Internet und Smartphones eine virtuelle Vernetzung, einen weltweiten Informationszugang und bringt viele Menschen einander näher. Zugleich wurden und werden im Zuge der Digitalisierung intelligente Zukunftstechnologien entwickelt, die eine nachhaltigere und effizientere Lebensweise versprechen. Auch die Elektromobilität zählt zu diesen Versprechungen. Digitale Technologien brauchen aber Mikrochips, Kabel, Schaltungen und Batterien, die aus mineralischen Rohstoffen und Metallen wie Kobalt, Lithium, Kupfer, Gold und Seltenen Erden bestehen. Die digitale industrielle Revolution, auch als „Industrie 4.0“ bekannt, bringt daher eine große Herausforderung mit sich: eine enorme Nachfrage an Rohstoffen, die in den kommenden Jahren weiter explodieren wird. So soll der Bedarf an Kobalt zwischen 2013 und 2035 um das 23-Fache und der an Lithium gar um das 179-Fache ansteigen. Die beiden Metalle sind essenziell für Lithium-Ionen-Batterien, die zum Beispiel in Elektroautos verwendet werden.

Gleichzeitig geht der Abbau von metallischen Rohstoffen oft mit prekären Arbeitsbedingungen, Menschenrechtsverletzungen und ökologischen Schäden einher. Umweltverschmutzung durch Bergbau zerstört vielerorts die Biodiversität und bedroht die Lebensgrundlagen der umliegenden Gemeinschaften. Kobalt beispielweise wird zu etwa 70 Prozent in der Demokratischen Republik Kongo abgebaut – mindestens ein Fünftel davon im Kleinbergbau.

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Drastisch verändert die Digitalisierung die Lebens- und Arbeitswelt der Menschen in Nord und Süd. Jedoch nicht immer zum Positiven. Vor allem im globalen Süden nicht. Dabei gibt es Mittel für eine positive Veränderung für die Mehrheit der Menschen – in Nord und Süd. …

Neben den prekären Arbeitsbedingungen sowie Kinder- und Zwangsarbeit sind Kleinschürfer*innen weiteren erheblichen Risiken ausgesetzt: Im Vergleich zum industriellen Bergbau finden Kleinschürfer*innen schwieriger Abnehmer, sind stark von Zwischenhändler*innen und den gegebenen Preisen abhängig und müssen oft in der Grauzone zwischen Legalität und Illegalität arbeiten. Häufig werden sie von dort, wo sie tätig sind, vertrieben und auch sonst Opfer der Gewalt von Sicherheitskräfte und Milizen.

Außerdem führen die fehlende Ausbildung der Kleinschürfer*innen und die mangelnde Sensibilisierung für Fragen des Umweltschutzes in vielen Fällen zu Land- und Wasserverschmutzung in der Umgebung des Kleinbergbaus.

Hinzu kommt die notorische Intransparenz und Korruptionsanfälligkeit des Sektors. Diese kulminierten in der Demokratischen Republik Kongo in dem Skandal rund um den dubiosen Geschäftsmann Dan Gertler und den Schweizer Bergbaukonzern Glencore. Gertler stand dem damaligen Präsidenten Joseph Kabila nahe und soll Glencore mithilfe von Bestechungsgeldern zu äußerst profitablen Kupfer- und Kobaltförderlizenzen verholfen haben – auf Kosten der kongolesischen Bevölkerung.

Auch der Abbau von Lithium, dem sogenannten weißen Gold Südamerikas, geht nicht spurlos an der Umwelt und der Bevölkerung vorbei: Aufgrund des erhöhten Wasserverbrauchs durch den Lithiumabbau führen sinkende Grundwasserspiegel und das Austrocknen von Flussläufen zu einer prekären Wasserknappheit. Darunter leidet die lokale, oftmals indigene, Bevölkerung in den betroffenen Regionen, vor allem im Dreiländereck von Bolivien, Chile und Argentinien.

Um den Rohstoffhunger unserer Zukunftstechnologien zu sättigen, dringt die Bergbauindustrie in immer neue sensible Gebiete ein, welche oftmals in entlegenen Regenwäldern und geschützten Naturlandschaften liegen. Sogar unerforschte Flecken der Erde, wie die Tiefsee oder die Arktis, ja sogar das Weltall, werden nicht vom Extraktivismus verschont werden. Die Folgen davon sind heute teilweise noch nicht absehbar.

Die Fehlentwicklungen des digitalisierten Bergbaus

Die Digitalisierung hat aber nicht nur einen beträchtlichen Einfluss auf das Ausmaß der Rohstoffgewinnung, sondern auch auf ihr industrielles Innenleben. Unter dem Vorwand „grüner“ zu werden, beziehungsweise vor allem kosten- und energieeffizienter mehr und schneller Rohstoffe aus der Erde holen zu wollen, befindet sich auch der industrielle Bergbau in einem tiefgreifenden technologischen Wandel. Digitale Datenanalyse und darauf basierende Technologien der künstlichen Intelligenz, das Internet der Dinge und automatisierte Prozesse kommen in vielen Bereichen der Rohstoffwertschöpfungsketten zum Einsatz.

AngloAmerican, eines der weltweit größten Bergbauunternehmen, möchte den Bergbau durch sogenanntes FutureSmart Mining „perfektionieren“. Dabei geht es darum, Daten zu sammeln, diese auszuwerten und zur Optimierung der Produktion zu nutzen. Beispielsweise können vorausschauende Kontrollsysteme anstehende Wartungsarbeiten frühzeitig erkennen und automatisch Ersatzteile bestellen. Frühwarnsysteme, ferngesteuerte Maschinen und selbstfahrende Transportfahrzeuge sollen eine Mine sicherer machen und die Belegschaft schützen.

Das klingt positiv: Digitalisierung innerhalb der Industrie als Beitrag zu mehr Sicherheit, Effizienz und einer gewissen Risikominimierung. Doch der Mensch macht Fehler und kostet als Arbeitskraft langfristig mehr als eine Maschine – ob Letztere nicht auch fehlerhaft funktioniert, ist allerdings fraglich. Daher gilt es, diese Entwicklung kritisch zu verfolgen und zu hinterfragen: Wie viele Arbeiter*innen werden aufgrund automatisierter intelligenter Prozesse durch Computer ersetzt? Werden Arbeiter*innen umgeschult, finden sich anderweitige Aufgaben für sie? Oder spitzt sich die Profitmaximierung und die Ausbeutung der Bodenschätze soweit zu, dass die lokale Bevölkerung nicht einmal mehr auf die wenigen Arbeitsplätze zählen kann – so prekär sie bisher auch sein mögen?

Digitale Datenanalyse wird sogar für das Risikomanagement in den Bereichen Umwelt, Soziales und Menschenrechte verwendet, unter anderem im Umgang mit potenziell betroffenen Gemeinschaften. Unternehmerische Sorgfaltsprozesse und Entscheidungen basieren teils bereits auf „Big Data“ und computergestützten Einschätzungen von Risiken – für ein Bergbauvorhaben wird die Nachbarschaft, beziehungsweise eine angespannte Beziehung zu ihr, in erster Linie als ein Produktionsrisiko einkalkuliert.

Doch was bedeutet das für die lokalen Gemeinschaften, wenn sie als Datenpunkte verstanden werden und die Beziehung zu ihnen automatisiert und universalisiert wird? Was bedeutet die wachsende Ungleichheit zwischen den Bergbaugiganten und der lokalen Bevölkerung für die Achtung der Menschenrechte und den Schutz der Umwelt? Solche Fragen kommen in einer einseitigen Betrachtung der Digitalisierung zu kurz. Daher braucht es ein kritisches Überdenken der Digitalisierung innerhalb des Bergbausektors, wie sie bisher umgesetzt wird.

Wir brauchen eine Rohstoffwende

Zum einen führen Digitalisierung und digitale Technologien zu einem höheren Bedarf an Rohstoffen – und damit verbunden größeren Eingriffen und Risiken für Umwelt und Menschenrechte. Zum anderen findet innerhalb der Industrie selbst eine Digitalisierung statt, um Effizienz und Produktion zu steigern – und um die Digitalisierung mit Rohstoffen zu versorgen, ohne allerdings dabei Arbeitsplätze zu schaffen. Während neue Technologien im Bergbau durchaus auch positive Effekte aufweisen, werden die Gefahren des digitalisierten Rohstoffabbaus kaum in den Blick genommen. Wenig Beachtung finden auch Fragen der Verfügbarkeit und Endlichkeit von Rohstoffen im Sinne planetarer Grenzen sowie Fragen nach ihrer verantwortungsvollen Beschaffung, Produktion und Nutzung.

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Eine nachhaltige und global gerechte Digitalisierung, die die Klima-, Biodiversitäts- und Rohstoffkrisen nicht weiter verschärft, erfordert einen Paradigmenwechsel im Umgang mit den natürlichen Ressourcen unseres Planeten, eine echte Rohstoffwende.1 Erstens müssen dafür möglichst viele Erze im Boden bleiben – gerade im Bereich der Zukunftstechnologien muss der absolute Rohstoffverbrauch mitgedacht und verringert werden. Denn extraktive Expansion darf nicht unendlich und um jeden Preis vorangetrieben werden. Zweitens müssen menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten für Unternehmen auch im Rohstoffsektor verbindlich festgeschrieben werden.

Es muss sichergestellt werden, dass die Rohstoffe der Digitalisierung unter höchsten menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Standards abgebaut, genutzt, weiterverarbeitet und soweit wie möglich wiederverwertet werden. Mit der Umsetzung des in Deutschland debattierten Lieferkettengesetzes, der Konzernverantwortungsinitiative in der Schweiz und der angekündigten europäischen Sorgfaltspflichtenregulierung wären dafür notwendige Weichen gestellt.

Die Digitalisierung verändert den Rohstoffsektor und die Bergbauindustrie selbst. Sie birgt unterschiedlichste Chancen und Risiken, sowohl nach innen als auch nach außen. Wichtig ist, dass wir sie in Deutschland und Europa nicht weiter blind vorantreiben, überwiegend zu Lasten der umliegenden Gemeinschaften und Arbeiter*innen im globalen Süden. Gefragt ist eine Rohstoffwende, die die Digitalisierung mit dem Schutz von Menschenrechten und Umwelt vereinbart und das Gemeinwohl ins Zentrum stellt.

1 Warum es eine Rohstoffwende braucht und wie sie gestaltet werden sollte, können Sie im Argumentarium „12 Argumente für eine Rohstoffwende“ nachlesen (webshop.inkota.de/node/1606).

Anna-Sophie Hobi (Bild oben) ist Doktorandin an der Norwegian University of Life Sciences und forscht zu Bergbau, Rohstoffen und erneuerbaren Energien.
Lara Louisa Siever (Bild unten) ist Referentin für Ressourcengerechtigkeit und Rohstoffpolitik beim INKOTA-netzwerk.

Anna-Sophie Hobi (Bild oben) ist Doktorandin an der Norwegian University of Life Sciences und forscht zu Bergbau, Rohstoffen und erneuerbaren Energien.
Lara Louisa Siever (Bild unten) ist Referentin für Ressourcengerechtigkeit und Rohstoffpolitik beim INKOTA-netzwerk.

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