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Podcast: Risiken der digitalen Landwirtschaft

Peter Kreysler hat sich in dem zweiten Teil unserer Podcastserie auf die Spurensuche nach Chancen und Risiken der digitalen Landwirtschaft begeben.

von Lena Luig
Veröffentlicht 20. FEBRUARY 2020

In allen Lebensbereichen schreitet die Digitalisierung schnell voran, auch in der Landwirtschaft: Digitale Werkzeuge finden im Kuhstall und auf Traktoren zur Optimierung von Arbeitsabläufen schon seit knapp 10 Jahren ihren Einsatz. Felder werden mit Sensoren erkundet, mit Satelliten überflogen, um Aussaat, Düngung und Ernte zu optimieren. Bisher sind es die großen Landmaschinen-, Saatgut-, Chemie- und Informationsunternehmen, die die Digitalisierung besonders vorantreiben. Aber bringt die Digitalisierung auch die dringend notwendige Vielfalt auf den Acker? Und was bedeutet das für die bäuerliche Landwirtschaft, wenn Landwirte und Landwirtinnen ihre Daten zur Verfügung stellen? Wo liegen die Chancen und Risiken auch für den globalen Süden? Und wie müsste der digitale Wandel in der Landwirtschaft politisch gestaltet werden? Peter Kreysler hat sich in dem zweiten Teil unserer Podcastserie auf die Spurensuche begeben.

Sie können den folgenden Text auch hören.

Der Bundestagsabgeordnete Harald Ebner wirkt an diesem grauen Novembermorgen in seinem Berliner Büro ist an sich recht optimistisch und offen, als er die Chancen und Risiken der Digitalisierung der Landwirtschaft abwägt.

Harald Ebner, Bundestagsabgeordneter, Bündnis 90/DIE GRÜNEN: „Digitalisierung an sich ist nicht gut oder schlecht. Also: es ist ja kein Wert an sich. Es kommt drauf an; also auf Chancen und Risiken, was kann ich damit erreichen? Wer sich vorstellt, er könne mit einem System das Heil über die Welt bringen, der sollte lieber die Finger davon lassen. Also: es kommt drauf an, was man daraus macht.“

Der agrarpolitische Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion ist aber trotzdem besorgt; er befürchtet, dass der jetzige Trend der Agrar-Industrialisierung sich so fortsetzt.

Harald Ebner: „Wir haben seit Jahrzehnten einen irren Strukturwandel, und jetzt ist doch die große Frage: Beschleunigt die Digitalisierung diesen Strukturwandel?“

Ich berichte dem Bundestagsabgeordneten, was ich bei meiner Recherchereise gelernt habe. Was die Agrarunternehmen sich von der „Grünen Digitalen Revolution“ in der Landwirtschaft versprechen: Sie erhoffen sich eine größere Vielfalt auf den Feldern; weniger Pestizide sollen eingesetzt werden und dabei ließen sich gleichzeitig die Ernteerträge mit Hilfe der Digitalisierung steigern. Also dank der Digitalisierung ließe sich Nachhaltigkeit und Effizienzsteigerung in Einklang bringen - so die Wünsche und Hoffnungen, die ich immer wieder gehört habe. Sind das Heilsversprechen der industriell ausgerichteten Landwirtschaft, frage ich den Abgeordneten.

Harald Ebner: „Eine grundsätzliche Erwägung ist wichtig. Wir können nicht ein System, das mit ziemlicher Geschwindigkeit in die Sackgasse gefahren ist, jetzt noch ein bisschen digital optimieren. Also: Für die dringend notwendige Agrarwende, um aus der Sackgasse rauszukommen, hilft uns ein kleines Update nicht. Wir brauchen da eher ein neues Betriebssystem in der Landwirtschaft.“

Ein neues Betriebssystem, klingt spannend. Nachdenklich schaut Harald Ebner aus dem Fenster auf den grauen Innenhof des Bundestages. Nach seinem Kenntnisstand geht es zurzeit um weit mehr als nur um eine technische Optimierung von Arbeitsabläufen der Landwirtinnen und Landwirte.

Harald Ebner: „Die Frage ist doch: Was wollen wir mit der Digitalisierung erreichen? Wir haben ja bereits eine extreme Konzentration in dem ganzen landwirtschaftlich vorgelagerten Bereich. Wir haben schon eine extreme Konzentration in der Chemieindustrie, bei den Pestizidherstellern. Wir haben schon eine extreme Konzentration bei den Saatgutherstellern und wir haben sie auch schon bei der Landtechnik. Die Fusion der Saatgutkonzerne mit den Chemiekonzernen, die haben wir schon hinter uns. Und wenn jetzt noch die Fusion der Chemie- und Saatgut-Giganten mit den Landmaschinenherstellern droht, dann müssen wir sehr genau darauf achten, dass die bäuerliche Landwirtschaft, aber auch unsere Ernährungssouveränität, die in unser aller Interesse liegen muss, nicht unter die Räder kommt. Wir kennen die Frage: Wem gehört das Saatgut? Heute müssen wir die Fragen stellen: Wem gehören die Daten? Wer hat die Herrschaft über das Wissen, was da auf den Äckern und Feldern wächst?“

Wer hat die Herrschaft über das Wissen, was auf den Feldern wächst? Die Frage klingt bei mir noch nach, als ich in Hannover auf der Agritechnica die Firma 365FarmNet treffe. Auf dem großen Messestand demonstrieren Mitarbeiter des Unternehmens interessierten Landwirtinnen und Landwirten, wie diese Software funktioniert.

Malte Brüning von 365FarmNet ist bereit, mir das System zu zeigen. An einem großen Bildschirm sehe ich Felder aus der Vogelperspektive von einem Satelliten aufgenommen. Brüning erklärt mir, während er das Programm aufruft, wie Bauernhöfe die digitalen Informationen bündeln können und so alle wichtigen Daten in die Hand bekommen, um dann so ihre Entscheidung zu treffen, ob Pestizide eingesetzt werden müssen oder das Feld nachgedüngt werden muss.

Malte Brüning, 365FarmNet: „Also wenn ich mit der Maus drauf gehe, sehe ich, wir haben unterschiedliche Bewölkung. Ich kann wie bei Google Earth auf Satellit-Ansicht umstellen. Ich sehe jetzt, hier ist alles weiß, hier ist keine Wolke davor. Wir gehen einmal zurück in die Vegetation.“

Mit ein paar Mausklicks kann Malte Brüning errechnen, dass die Biomasseverteilung an dem einen Acker nicht ganz ideal ist, und man müsste, um den Ernteertrag hier in dieser Bodensenke noch zu steigern, an einigen Stellen noch etwas „nach-düngen“, wie er mir erklärt.

Malte Brüning, 365FarmNet: „Jetzt berechnet mir das System über alle Schläge die Biomasseverteilung.“

Wieder klickt er ein paar Mal mit der Maus. Und schwups wie von Zauberhand ist der Lieferauftrag für den Kunstdünger erstellt und wird automatisch an den Zulieferbetrieb gesendet. In dem System liegen alle Daten der Ackerbewirtschaftung in einer Hand: Welches Saatgut, welcher Dünger angewendet wurde und wie der Boden beschaffen ist, wann die Maschinen gewartet werden müssen und neu betankt werden sollten. Mit ein paar Mausklicks kann der Bauer alle Informationen abrufen, die er zur Entscheidungsfindung braucht. Aber nicht nur von Wettersatelliten bekommt 365FarmNet ihre Informationen:

Malte Brüning: „Im Bereich Maschinen-Kommunikation haben wir das Thema ,data connect’. Jeder Kunde, der zum Beispiel ein John-Deere-System fährt, hat ja Zugangsdaten – Benutzername und Passwort – die gebe ich hier ein. Die kann ich für Fendt eingeben; die kann ich für Claas eingeben. Sofort kommen die Maschinen, die diesem Betrieb zugeordnet sind, in diesen Account rein. Und diese Maschinen senden Daten und mit diesen Daten werden wir jetzt arbeiten, um daraus einen Nutzen für den Landwirt zu erzeugen, was seinem pflanzenbaulichen Prozess gerecht wird.“

Peter Kreysler: „Also, die Maschinen senden automatisch die Daten?“

Malte Brüning: „Ja! Ich kriege hier Kraftstoffverbrauch, Füllstandanzeige, im Erntemaschinenbereich kriege ich auch die Ertragsdaten von den Mähdreschern oder Feldhäckslern.“

Peter Kreysler: „Da wird der Bauer aber ganz schön gläsern, oder?“

Malte Brüning: „Es ist eine freiwillige Angabe, das ist nicht verpflichtend. Der Vorteil ist aber, je mehr Informationen der Fahrer der Maschine mitgibt, desto bessere Kennzahlen kriegen wir für diesen Prozess.“

Aber wie wird gewährleistet, dass die Daten auch sicher sind? Die Datenskandale der letzten Jahre verunsichern mich, ich lasse mir die Argumente durch den Kopf gehen: Habe ich nicht auch bei Facebook freiwillig zugestimmt, dass bei Facebook mit meinen Daten einfach so gearbeitet werden darf? Ich schaue mich um und sehe, wie begeisterte Landwirte sich die neusten Tools zeigen lassen. Um alle Vorteile des Systems zu nutzen, muss der Bauer aber dem Betreiberunternehmen von 365FarmNet Zugriff auf seine Daten gewähren. Was aber dann mit den Daten weiter geschieht, bleibt im Verborgenen, auch wenn das Unternehmen auf der Webseite versichert, dass die Daten geschützt sind.

Malte Brüning klickt sich inzwischen weiter unbekümmert und fleißig durch das aufwendige Menü seines Computerprogramms und zeigt mir, welche Unternehmen bereits im Partnerring sind und ihre Dienste anbieten. Viele große Agrarunternehmen finden sich hier: BASF, KWS, der Versicherer Allianz oder Europas grösster Agrarhändler, AGRAVIS.

Malte Brüning: „Dieser Baustein ist hier schon im Standard aktiviert. Ich habe hier den ,BASF-X-Solution- Finder’, was den Landwirt unterstützt in der Frage, welches Mittel er zu welchem Zeitpunkt, für welches Unkraut einsetzen kann.“

Natürlich sucht der „Lösungsfinder“ von BASF nur nach Pestiziden des eigenen Hauses. Wie und welche Spritzmengen für Insektenvernichtung und Unkrautbekämpfung berechnet werden und wie das System arbeitet, ist nicht zu erkennen, es bleibt intransparent. Wie kann man überprüfen, dass das System keine Fehler macht? Dass die ausgebrachten Pestizidmengen auch wirklich nachhaltig angewendet werden und dass die BASF-Software nicht auf Umsatz- und Ertragssteigerung programmiert worden ist?

Ich laufe weiter auf der Messe, um zu verstehen, wie weit die Automation inzwischen fortgeschritten ist. Wo spielen der Mensch und seine Erfahrung hier noch eine Rolle oder werden diese Prozesse nur noch von Künstlicher Intelligenz geleitet?

Martin Albersmeier, John Deere: „Was Sie hier sehen, das ist die Zukunft, wie wir den Pflanzenschutz gezielter ausbringen können.“

Ich stehe mit dem PR-Mitarbeiter Martin Albersmeier von John Deere vor einem großen handelsüblichen Container. So wirkt das Ganze erstmal recht unspektakulär – auch von außen ist ausser einem einfachen Stahlkasten nicht viel zu erkennen.

Martin Albersmeier: „Was Sie sehen ist ein Container von John Deere mit mehreren Drohnen. Der Landwirt wird mit diesen Containern ans Feld fahren und startet sein Programm. Auf dem Programm sind die Außenkoordinaten des Feldes definiert. Die Drohne fliegt raus und scannt das Feld im ersten Schritt ab und erkennt, in welchem Bereich Unkraut vorhanden ist. Nachdem das erfasst ist, fliegt die Drohne zum Container zurück.“

Der Landwirt erhält dann eine elektronische Analyse der Erkundungsdrohne, dann weiß er, in welchen Bereichen Unkräuter gefunden wurden, und muss nun entscheiden, in welchen Pflanzenschutzmittel versprüht werden, wie ich von Albersmeier erfahre. In dem Demonstrationsvideo kann man sehen, wie das Ganze funktioniert. Hier soll gezielt gegen so genannte Superunkräuter vorgegangen werden, die besonders auf Monokulturen in den USA inzwischen ein unbeherrschbares Problem geworden sind. In dem Video wird dann vorgeschlagen, zwei Pestizide zu versprühen: Glyphosat und Dicamba.

Martin Albersmeier: „Im unteren Teil des Containers ist Wasser und Pflanzenschutz geladen. Der Container füllt automatisch die Drohne mit dem Pflanzenschutz und wenn es notwendig ist, tauscht er auch den Akku. Und dann fliegt die Drohne an die genau vordefinierten Stellen und bringt dort die Pflanzenschutzmittel aus. Und fliegt dann wieder zurück.“

Peter Kreysler: „Aber wie kann denn die Drohne erkennen, dass der Pflanzenschutz dahin muss?“

Martin Albersmeier: „Die Drohne hat Sensoren, die Unkräuter erkennen. So kann mit den Geokoordinaten eine Applikationskarte erstellt werden.“

Martin Albersmeier zeigt nach oben. Hier hängt unter dem Dach der Messehalle eine riesige Pestizid-Drohne: Der neuste Prototyp von John Deere hat 10 Meter Durchmesser, 18 Rotoren und kann 6 Hektar Felder pro Stunde besprühen. Die „VoloDrone“ soll die erste Großdrohne sein, die für den landwirtschaftlichen Einsatz ausgelegt ist. Sie ist voll funktionsfähig und bereit für den ersten Einsatz. Die Zuladung beträgt 200 Kilo, also 200 Liter Pestizide.

Ist das alles Zukunftsmusik? Noch kann ich mir das alles kaum vorstellen. Werden wir schon bald über unseren Feldern Ackerdrohnen schweben sehen, die auch Pflanzengifte versprühen? Wie realistisch sind diese Szenarien wirklich? Fraglich bleibt ja, ob sich solche Anwendungen überhaupt lohnen. Ich recherchiere und finde heraus, dass der Einsatz von Ackerdrohen in agrarintensiven Regionen schon längst zum Alltag gehört.

Ich treffe Neth Daño von der NGO ETC Group, die mir von ihren Erfahrungen auf den Philippinen berichtet. Sie lebt in einer Gegend, wo besonders viele „Cashcrops“ angebaut werden – Produkte, die für den Export bestimmt sind, wie Bananen und Ananas. Endlose Plantagen gebe es bei ihr zu Hause, wie sie erklärt.

Neth Daño, ETC Group: „Ich lebe im Süden der Philippinen, wo die großen Bananenplantagen sind. Hier ist es inzwischen ganz üblich, dass man Drohnen am Himmel sieht, die große Felder besprühen. Früher nutzte man Sprühflugzeuge, heute kann man das mit kleinen Drohnen erledigen. Sie werden auch genutzt, um herauszufinden, ob auf den Feldern ungewünschte Unkräuter wachsen oder Bananen von Pilzkrankheiten befallen sind. Wenn man sich die großen kommerziellen Farmen anschaut, die im großen Stil Ananas oder Bananen anbauen, dann sehen wir diese digitalen Werkzeuge bereits im Einsatz.“

Nach Einschätzung von Neth Daño nimmt das Problem der Pestizidbelastung durch den Drohneneinsatz eher zu. Die Ackergifte werden in den Philippinen nicht weniger eingesetzt, sondern weil es nun auch kleineren Farmern möglich ist, die Gifte großflächig auszubringen, steigt der Pestizideinsatz sogar noch, denn Flugzeuge und Flughäfen brauchen die kleinen mobilen Drohnen nicht mehr. Das hat fatale Folgen für die Anwohner. Denn wenn die Pestizide aus der Luft – also aus großer Höhe – von Ackerdrohnen weitflächiger versprüht werden, verteilen sich die Pestizide weiträumiger, sie treiben ab – die Abdrifte der Gifte nehmen zu, wie mir die Agrarexpertin Neth Daño bestätigt.

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Neth Daño: „Das löst nicht die fundamentalen Probleme, die mit dem Pestizideinsatz einhergehen: Gesundheitsprobleme der Anwohner durch Verschmutzung des Trinkwassers und Verringerung der Artenvielfalt. Zwar ist in der Stadt, in der ich lebe, das Versprühen von Pestiziden aus Flugzeugen verboten, aber durch Sprüh-Drohnen findet es statt. Der Pestizideinsatz durch Drohnen ist inzwischen viel billiger geworden. Nun ist es auch für mittlere und kleinere Betriebe möglich, sie können sich Pestizid-Drohnen inzwischen leisten. Dadurch haben das Problem der Umweltverschmutzung und Gesundheitsprobleme durch Pflanzengifte in meiner Region noch zugenommen.“

Kirsten Tackmann, Bundestagsabgeordnete, DIE LINKE: „Meine Erfahrung ist, dass die Industriestaaten immer das in die ,dritte Welt’ schicken, womit sie selber gute Ergebnisse erreichen. Die Selbstlosigkeit in der Entwicklungszusammenarbeit ist ja in homöopathischen Dosen ausgeprägt.“

Das sagt Kirsten Tackmann. Sie ist Bundestagsabgeordnete der Fraktion DIE LINKE und sitzt seit vielen Jahren im Agrarausschuss des Bundestages.

Kirsten Tackmann: „Die so genannten Grünen Zentren, die von der EU in Afrika erstellt werden, haben immer das gleiche Prinzip: Es ist nicht ,Hilfe zur Selbsthilfe’, sondern das Agrarmodell der ,ersten Welt’ wird in die ,dritte Welt’ exportiert und das geht dann auch schief. Und da nutzt uns auch nicht die Digitalisierung, im Gegenteil“.

In ihrem Wahlkreis in Brandenburg erlebt die Abgeordnete Tackmann, wie Landwirtschaft sich wandelt, industrialisierter wird. Besonders die großen Agrarbetriebe nutzen die neuen Technologien zunehmend, wie sie mir erzählt. Auch sie sieht die Gefahr, dass mit Hilfe der Digitalisierung sich die Vormachtstellung einiger Agrar-Unternehmen weiter zementiere.

Kirsten Tackmann: „Die Frage, warum ist es so wichtig mit den Daten? Ich überzeichne es ein bisschen, aber das wäre die Vision, dass Monsanto zum Beispiel sagt: Ich habe hier eine bestimmte Sätechnik, mit der präzise entsprechend der Bodenqualität gesät werden kann, dafür will ich auf deinem Acker auch das entsprechende Sensorium festlegen. Das heißt, ich will wissen, was auf deinem Acker so wächst und so weiter und über diese Schiene kann man explizit gucken, wer hat da wo was angebaut. Wo sind noch Lücken, wo ich nicht präsent bin? Und so kann eine Überwachung des gesamten Marktes stattfinden.“

Im globalen Süden könne man die Probleme bereits spüren, wie sie mir erklärt. Besonders für Menschen ohne eigene Anbaufläche, die durch Landnahme – dem so genannten Land Grabbing – vertrieben wurden, hat es schon heute fatale Konsequenzen:

Kirsten Tackmann: „Es kann sogar dazu führen, dass Bauern immer weniger Zugang haben, dass es immer automatisierter läuft, und dann am Ende die großen ,Land-Grabber’ dann nicht einmal mehr die Leute vor Ort beschäftigen, sondern alles nur noch automatisiert war. Dann würde es dazu führen, dass neben dem Acker die Leute hungern. Und zwar nicht, weil nichts auf dem Acker wächst, sondern weil sie nichts damit zu tun haben, weil sie weder eigentumsmäßig noch irgendwie anders damit verbunden sind. Das heißt, wir haben ein gesellschaftspolitisches Problem. Das Gesellschaftssystem muss sich ändern, damit man die Digitalisierung vernünftig gestalten kann, im Sinne von Menschen und Natur.“

Besonders die Frauen auf dem Land sammeln die letzten Reste der Reisernte vom Boden ein, das ist seit langem so, denn seit je her sichern Frauen in ländlichen Gebieten auf den Philippinen so die Ernährung ihrer Familien, wie mir Neth Daño von der NGO ETC erklärt. Doch die modernen Erntemaschinen sind inzwischen so gut, dass kein Halm auf dem Boden bleibt. Nichts, kein Reiskorn und keine Krume bliebe für die armen Frauen und ihre Familien. Neth Daño prognostiziert konsequenterweise eine düstere Zukunft.

Neth Daño: „Nimmt man das als Grundlage, wohin sich die Landwirtschaft entwickeln wird, dann kommen wir konsequenterweise zu folgendem Schluss: Es werden die ,Großen Player’ in der Landwirtschaft gestärkt, die Industrialisierung des Agrarsektors wird rasant zunehmen, denn die kleinen Bauern und Bäuerinnen können sich das alles nicht leisten. Sie spielen in diesem Spiel keine Rolle mehr.“

Auch Steffen Lange vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung sieht das kritisch und warnt, dass man sich nicht in die Irre leiten darf: Produktionssteigerung im Agrarsektor bedeutet nicht gleichzeitig, dass sich die Ernährungssouveränität erhöhe, das sei ein Trugschluss.

Steffen Lange, Institut für ökologische Wirtschaftsforschung: „Also erstmal muss man sagen, dass die kleinen Bauern und Bäuerinnen pro Hektar viel produktiver sind als die großen. Die Frage der Großen in Bezug auf die Kleinen bezieht sich immer auf Arbeitsproduktivität. Wenn man sich das aber pro Hektar anschaut, dann sind die Kleinen viel produktiver. Und daraus würde sich jetzt die Schlussfolgerung ziehen, dass wir die besser beibehalten, wenn wir die Weltbevölkerung ernähren möchten. Auch wenn man dann noch hinzunimmt, dass die Wertschöpfung im Land bleibt, bei kleineren Strukturen.“

Und auch Neth Daño warnt eindringlich, schließlich wären es die kleinen Familienfarmen, die zum überwiegenden Teil die Welt ernähren. 500 Millionen Bauern produzieren den Großteil der globalen Nahrungsmittel. Bedenklich dabei ist, dass diese Bevölkerungsgruppe am stärksten durch Dürren und Flutkatastrophen gefährdet ist.

Der Weltagrarbericht brachte bereits im Jahr 2008 frischen Wind in die Diskussion um die Gestaltung der Landwirtschaft. Mit dem Titel „Agriculture at a Crossroads“ überraschte der von der Weltbank und den Vereinten Nationen initiierte Bericht mit seinem klaren Votum für kleinbäuerliche und ökologische Landwirtschaft. Ein „Weiter wie bisher ist keine Option“, so die prägnante Aussage des Berichts. Gefordert wird stattdessen eine Stärkung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft weltweit. Diese sei mit entsprechender Förderung und notwendigen Investitionen in der Lage, ausreichend Nahrung zu produzieren und natürliche Lebensräume zu erhalten. Doch leider fördere die Digitalisierung der Landwirtschaft den gegenteiligen Trend, bisher profitieren nur die großen Plantagen und Farmen von den neuen Werkzeugen.

Neth Daño: „Was ist die Folge für Länder wie den Philippinen? Größere Armut, die Schere zwischen Reich und Arm wird zunehmen. Auch der Kampf um Landbesitz wird sich verschärfen. Damit wird konsequenterweise die Landflucht weiter zunehmen. Was sollen wir denn mit den Landarbeitern machen? Die verlieren ja nicht nur ihr Land, sondern sie finden auch keine Jobs mehr, wenn Computer gesteuerte Traktoren und Landmaschinen über die Felder fahren. Wir sehen dann anstatt Landarbeitern und Erntehelferinnen nur noch Traktoren und Landmaschinen. Und was sollen diese Menschen dann noch machen, wenn sie arbeitslos sind und sie kein Land mehr haben, um sich zu ernähren? Sie werden ja nicht plötzlich vom Erdboden verschwinden, oder? Wenn der digitale Trend so weitergeht, wird sich der soziale Sprengstoff im globalen Süden verstärken.“

„Digitale Landwirtschaft“ ein INKOTA Podcast von Peter Kreysler. Es sprachen: Barbara Becker und Peter Kreysler. Musik: Zoe Keating und Julian Fried. Redaktion: Lena Luig.

Das ist die zweite Folge aus einer dreiteiligen Podcast-Reihe, die sich mit dem Einfluss digitaler Technologien in der Landwirtschaft beschäftigt. Hören Sie jetzt auch Folge 1 und Folge 3 der dreiteiligen INKOTA-Podcast-Reihe auf Soundcloud.

Dieser Podcast wurde gefördert durch das Umweltbundesamt und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Die Mittelbereitstellung erfolgt auf Beschluss des Deutschen Bundestages. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autorinnen und Autoren.

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