Zurück zu traditionellen Werten, gegen Feminismus und Gender-Rechte. Vom konservativen islamischen Prediger oder katholischen Bischof über den autoritären Präsidenten in Ungarn oder auf den Philippinen bis hin zum Anti-LGBTIQ-Aktivisten in Polen oder in Uganda – die Forderungen konservativer bis reaktionärer Kreise in Nord und Süd sind sich erschreckend ähnlich. Häufig geht der Kampf der Rechten gegen Frauenrechte und Gender-Konzepte mit Verschwörungstheorien sowie nationalistischen und rassistischen Ideologien einher.

Zu Beginn der Coronakrise twitterte die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch: „Große Krisen schaffen auch Klarheit. Wir brauchen Krankenschwestern und keine Diversity-Berater, Naturwissenschaftler und keine Gendergaga-Experten.“ Das ist ein hilfloser Versuch, in der Krise die Gender-Karte zu spielen, um Kapital für den Anti-Feminismus zu schlagen. Dahinter stehen rollen-konservative Vorstellungen gesellschaftlicher Ordnung: Krankenpflege ist weiblich, Naturwissenschaft männlich. In einigen afrikanischen Ländern tauchten Plakate auf, die LGBTIQ-Personen für die Verbreitung des Virus verantwortlich machten. Ein Bischof begründete in Italien seine Forderung nach offenen Kirchen damit, dass sich sonst die „Genderideologie“ weiter verbreiten würde. Wie unpassend auch immer, Feminismus und „Genderismus“ werden auch in der Pandemie als Feindbild mobilisiert.

Südlink 192 - Gender und Gewalt
Für ein Leben ohne Angst | Juni 2020
Südlink 192 - Gender und Gewalt
Für ein Leben ohne Angst | Juni 2020
Geschlechtsspezifische Gewalt ist weltweit und an allen Orten anzutreffen: zu Hause und im öffentlichen Raum, in der Arbeit und in der Freizeit. Sie kann körperlich, sexuell, psychisch und ökonomisch sein. Sie ist der schlimmste Ausdruck der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern.

Bestimmte Muster des Antifeminismus tauchen in vielen Ländern und unterschiedlichen Kulturen auf. Der Kernvorwurf lautet, dass feministische und Gender-Konzepte die als natürlich oder gottgewollt behauptete patriarchale Ordnung zersetzen, Männlichkeit unterminieren sowie soziale und kulturelle Identitäten zerstören würden. Mit diesen Vorzeichen wird ein hochgradig emotionaler Kulturkampf um die Definitionsmacht über Sexualität, Geschlecht und Familie geführt. Geschlechterfragen werden politisiert wie nie zuvor. Häufig sind sexuelle und reproduktive Rechte der Dreh- und Angelpunkt, vor allem Abtreibung, deren Liberalisierung Frauenbewegungen seit Jahrzehnten fordern. Ziel ist, eine aus den Fugen geratene Ordnung wiederherzustellen, und zwar innerhalb nationalstaatlicher Grenzen.

Dazu werden anti-feministische und pro-familistische Kampagnen in Verschwörungstheorien eingebettet und mit nationalistischen, rassistischen und Anti-Migrationsideologien verknüpft. Diese Verknüpfungen finden sich in allen Weltregionen und mobilisieren Unterstützung für autoritäre, illiberale und nicht-egalitäre Politik in breiten Bevölkerungsschichten. Dabei bedienen sich die Akteur*innen extrem aggressiver und gewaltförmiger Methoden, um zu polarisieren und einzuschüchtern. Hasstiraden, Vergewaltigungs- und Morddrohungen gegen Genderforscher*innen und Kritiker*innen, Provokationen durch Trolle und mit Cyber-Armeen in den sozialen Medien führen zu einer Verrohung von Sprache und der Brutalisierung ziviler Umgangsformen.

Nicht neu und transnational

Der Anti-Feminismus ist nicht neu. Und er ist nicht auf einzelne Länder beschränkt, sondern transnational aktiv. Systematisch wurde der Anti-Feminismus seit den 1960er Jahren als kulturelle Gegenrevolution gegen die Welle von Frauenbewegungen und den Liberalisierungs- und Demokratisierungsschub im Kontext der 68er-Bewegung über Grenzen und Kontinente hinweg aufgebaut. Eine Vielzahl evangelikaler und konservativ-katholischer Sekten von der US-amerikanischen Billy Graham Association bis zu der in Brasilien gegründeten „Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum“ bildeten eine transnationale Anti-Abtreibungslobby, die überall „Märsche für das Leben“ organisierte. Mit antikommunistischem Duktus und gegen die Befreiungstheologie in Lateinamerika gerichtet, verfolgten sie die imperiale Mission, eine christliche Wertevorherrschaft zu errichten und Politik und Verfassungen entsprechend zu moralisieren, zum Beispiel in Südkorea, auf den Philippinen und in Westafrika. Bei den UN-Konferenzen zu Frauenrechten trat stets eine „unheilige“ Allianz von Vatikan und konservativen islamischen Staaten gegen sexuelle Selbstbestimmungsrechte und gegen das Gender-Konzept auf.

Als Gegennarrativ zum Feminismus propagieren rechtspopulistische Kräfte ein Familienbild, das die Familie als Keimzelle gesellschaftlicher Ordnung glorifiziert. Dabei fokussieren sie auf Elternrechte statt auf Frauen- beziehungsweise individuelle Rechte, auf die Biologie statt auf die soziale Konstruktion von Geschlecht. Die Verbreitung von Gender-Ansätzen durch Geschlechterstudien an den Universitäten, als Sexualkunde in Schulen oder als Gleichstellungs- und liberale LGBTIQ-Politik soll verhindert werden. Deshalb fordert die AfD, die öffentlichen Mittel für frauen-, gender- und diversitätsunterstützende Maßnahmen zu streichen, von der Geschlechterforschung an Universitäten bis zu Frauennotrufen und Förderprogrammen.

Starke Familie, starke Nation

In verschiedenen lateinamerikanischen Ländern, in denen Feministinnen sich zunehmend gegen Abtreibungsverbote und gegen Frauenmorde organisierten, verbündeten sich Pfingstkirchen und konservative Katholik*innen zu einem Backlash. Der kulminierte 2017 in Brasilien in den Protesten mit antisemitischer Stoßrichtung gegen die Gender-Theoretikerin Judith Butler, deren „Genderideologie“ sie für die gesellschaftliche Destabilisierung des Landes verantwortlich machten. Patriarchale Kontrolle über Körper und Sexualität sollen Sicherheit und Ordnung garantieren, die heile Familie soll die durch den Neoliberalismus verursachten sozialen Schäden auffangen.

Für alte und neue Konservative besteht Familie heteronormativ aus Vater, Mutter und Kindern sowie mit „natürlich“ zweigeschlechtlichen Rollen. Gleichzeitig verknüpfen sie das Narrativ „Family first!“ mit dem patriotisch-nationalistischen Muster „Nation first!“. Der Frau als Gebärerin und Mutter wird angesichts von Zuwanderung sowie ethnischer und religiöser Vielfalt eine neue völkisch-nationale Bedeutung zugewiesen. Narrative von „Überfremdung“ und vom „großen Austausch“ beschwören die Schrumpfung von Bio-Bevölkerungen, Frauen werden gegen die kinderreichen „Anderen“, Migrant*innen, Roma, vor allem aber Muslim*innen mobilisiert. Ob die AfD in Deutschland, die PiS-Partei in Polen, die Präsidenten Viktor Orbán in Ungarn, Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei und Wladimir Putin in Russland oder die muslimfeindlichen Hindu-Nationalisten in Indien: sie alle schüren Verunsicherung und fordern mehr Geburten von der dominanten Bevölkerungsgruppe zum „Erhalt des Staatsvolks“.

Autoritäre Politiker wie Jair Bolsonaro in Brasilien und Rodrigo Duterte auf den Philippinen brüsten sich damit, dem vulgär-sexistischen Macho-Populismus Donald Trumps nachzueifern. Die sexistischen und misogynen Ausfälle von Duterte dienen der Selbstdarstellung als starker Mann, aber auch der Einschüchterung und Delegitimierung kritischer und feministischer Kräfte. Gleichzeitig etikettiert Duterte seinen mörderischen Feldzug gegen (vor allem kleine) Drogendealer als „frauenfreundlich“, weil Drogenkonsum die Ursache von Vergewaltigungen sei.

Dagegen inszeniert sich Premierminister Narendra Modi in Indien als moralisch unbescholtener, zölibatär lebender Identitätsgarant. Er betreibt anti-feministische Politik, ohne sie so zu benennen. Gleichstellungs- und Anti-Diskriminierungsmaßnahmen an Universitäten werden ausgeschaltet, Frauen- und Genderstudien eingeschränkt, Geschlechterforscher*innen, feministische Wissenschaftler*innen und kritische Rechtsanwält*innen behindert und zunehmend Einfluss auf die Lehrinhalte an Universitäten und die Curricula an Schulen genommen. Außerdem profiliert sich die regierende BJP als Traditionshüterin und stellte sich gegen den Obersten Gerichtshof, der den Ausschluss von Frauen vom Besuch eines berühmten Tempels als verfassungsfeindlich verurteilt hatte. Während sich die BJP mit einer familienorientierten Frauenpolitik schmückt und zum Beispiel Gaszylinder zum Kochen verteilt, macht sie Stimmung gegen Lebensentwürfe von LGBTIQ-Personen, obwohl ein drittes Geschlecht in Indien kulturell und rechtlich etabliert ist und Homosexualität 2018 entkriminalisiert wurde.

Abo

Abonnieren Sie den Südlink

Im Südlink können Autor*innen aus dem Globalen Süden ihre Perspektiven in aktuelle Debatten einbringen. Stärken Sie ihnen den Rücken mit Ihrem Abo: 4 Ausgaben für nur 18 Euro!

Im Namen von Identität

Solche Strategien sind Teil einer größeren identitätspolitischen Agenda, in Indien des Hindu-Nationalismus, in Indonesien eines Projekts der konservativ-islamischen Prägung der Gesellschaft. Dabei geben sie vor, im Namen der Frauen zu sprechen. In beiden Ländern sitzen seit den letzten Wahlen so viele Frauen wie nie zuvor im Parlament, allerdings für konservative Parteien mit anti-feministischen Zielen.

In Indonesien machen konservativ-islamische Kräfte von unten mobil gegen kulturelle Veranstaltungen von Feministinnen und LGBTIQ-Personen wie auch gegen ein mögliches Gesetz gegen sexuelle Gewalt und gegen die liberale Gesetzgebung zu Homosexualität. Sie seien nicht vereinbar mit islamischen und indonesischen Wertevorstellungen, behaupten reaktionäre Gruppen.

Frauen gewinnen Anerkennung nur als Ehefrauen, Mütter und als Hüterin traditioneller Werte. Zur Profilierung kultureller Identitäten sind auch in den meisten osteuropäischen und afrikanischen Ländern Homo- und Transphobie weit verbreitet, bis hin zu tätlichen Angriffen auf LGBTIQ-Personen und die Ermordung von LGBTIQ-Rechtler*innen zum Beispiel in Uganda.

Die unterschiedlichen Varianten oder aber stereotypen Muster von Anti-Feminismus, Anti-Gender und Familismus im Tandem mit konservativ-völkischem oder identitär-religiösem Gedankengut zielen alle darauf, emanzipatorische Positionen in die Schranken zu verweisen und herrschaftskritische Kräfte zu schwächen. Wie verschiedene Geschlechter leben wollen, gilt nicht als Frage sozialer Entscheidungen, sondern vorgeordneter Normen.

Christa Wichterich ist freiberufliche Soziologin und Publizistin.

Christa Wichterich ist freiberufliche Soziologin und Publizistin.

Ihre Spende hilft!

INKOTA-Spendenkonto
IBAN DE 06 3506 0190 1555 0000 10
BIC GENODED1DKD

Hier können Sie für ein Projekt Ihrer Wahl oder zweckungebunden spenden: