Gemeindemitglieder kontrollieren des Wasser des Flusses Ostúa auf giftige Rückstände. | Foto: Cortesía Madre Selva
Südlink-Magazin

Etappensieg für die Umwelt

Ein Gespräch mit Julio González vom guatemaltekischen Kollektiv Madre Selva über den Widerstand gegen das Tagebauprojekt Cerro Blanco

von Gerold Schmidt
Veröffentlicht 6. DEZEMBER 2022

Gigantische Wasserkraftwerke, Tagebau, um wertvolle Erzvorkommen auszubeuten, Monokulturen. In Guatemala bedrohen Großprojekte die Territorien und Lebensumstände vieler indigener und kleinbäuerlicher Gemeinden. Der Widerstand gegen solche Vorhaben ist in dem bevölkerungsreichsten Land Zentralamerikas angesichts einer zunehmend autoritären und unternehmerfreundlichen Regierung schwierig. Aber nicht hoffnungslos.

Es war ein eindeutiges Ergebnis in Asunción Mita, einer Gemeinde in der guatemaltekischen Provinz Jutiapa: Am 18. September 2022 stimmten fast 90 Prozent der Bürger*innen, die an der kommunalen Nachbarschaftsbefragung teilnahmen, gegen das Tagebauprojekt Cerro Blanco (Weißer Berg): für den kanadischen Bergbaugiganten Bluestone Resources und seine guatemaltekische Filiale Elevar ein herber Rückschlag. Aber „eine Sauerstoffzufuhr für das politische System des Landes, eine funktionierende demokratische Übung“, sagt der Biologe Julio Gónzalez vom Kollektiv Madre Selva. Er und seine in Guatemala-Stadt ansässige Organisation haben den Widerstand gegen die Förderung der vermuteten Gold- und Silbervorkommen im Cerro Blanco seit Mitte der 2000er Jahre begleitet und gefördert – „juristisch und gewaltfrei“, wie er betont. Werde das Vorhaben durchgesetzt, drohe eine humanitäre und ökologische Katastrophe zugleich.

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„Wir haben gesehen, was 2019 in Brasilien passiert ist“, verweist González auf den verheerenden Dammbruch eines Rückhaltebeckens des Bergbaukonzerns Vale im Bundesstaat Minas Gerais. Eine giftige Schlammlawine begrub dort fast 300 Menschen unter sich und verseuchte das Grundwasser.

 „Das geplante Rückhaltebecken im Cerro Blanco wäre das zweitgrößte auf dem Kontinent. Die nächste Siedlung befindet sich gerade einmal 395 Meter vom vorgesehenen Standort entfernt. Dort leben mindestens 200 Familien. Das Risiko ist einfach zu groß“, erklärt der Biologe. Die Bewohner*innen von Asunción Mita hätten auch Angst vor der Verseuchung ihres Grundwassers, wenn Gold und Silber mit Chemikalien aus dem abgeräumten Gestein gelöst würden. Das Wasserproblem gebe der Auseinandersetzung um Cerro Blanco zudem eine binationale Dimension, so Julio González. „Durch die Provinz Jutiapa und Asunción Mita fließt der Ostúa. Dieser Fluss mündet in den von Guatemala und El Salvador geteilten Güija-See und trägt über diesen auch zur Wasserzufuhr des Lempa-Flusses in El Salvador bei.“

Widerstand gegen Pläne für einen offenen Tagebau

Wassereinzugsgebiete kennen keine Grenzen. Der Lempa ist zudem der längste Fluss El Salvadors. Darum werden die Entwicklungen in Asunción Mita auf salvadorianischer Seite intensiv verfolgt. Der dortige Runde Tisch gegen den Bergbau, ökofeministische Gruppen und die salvadorianischen Mitglieder der Zentralamerikanischen Allianz gegenüber dem Bergbau (Acafremin) sind nur einige der Zusammenschlüsse, die solidarisch mit dem Widerstand gegen den Tagebau am Cerro Blanco sind. Auf dem XIII. Forum Verwundbares Zentralamerika im Oktober in San Salvador verwiesen die Teilnehmer*innen aus Organisationen und sozialen Bewegungen mehrfach auf das Vorhaben als ein Beispiel für den grenzüberschreitenden Einfluss vieler Megaprojekte.

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Der Konflikt um Cerro Blanco hat bereits eine längere Geschichte. „Ursprünglich erteilten die guatemaltekischen Behörden 2007 dem kanadischen Goldcorp-Konzern (heute Newmont Goldcorp) und seinem guatemaltekischen Statthalter Entre Mares eine Konzession für die Förderung unter Tage.“ Das Verfahren war laut González bereits mit vielen Unregelmäßigkeiten behaftet. „Eine Abteilung des Umweltministeriums wies damals mehrfach die vom Unternehmen eingereichte Umweltverträglichkeitsprüfung als unzureichend zurück. Der Konzern intervenierte direkt beim Ministerium, die Behörde wechselte das gesamte Personal der Abteilung aus. Danach war der Weg für die Genehmigung sowohl der Studie als auch der Konzession frei.“
Die Besonderheit im Fall von Cerro Blanco: „In 15 Jahren wurde praktisch kein Gramm Gold und kein Gramm Silber gefördert“, erklärt González. „Die Stollen sollten bis auf den Grund des Berges getrieben werden. Doch auf dem Weg dahin stieß der Konzern auf 120 bis 180 Grad heißes Thermalwasser.“ Die riesige Wasserader drohte die Stollen vollständig zu überfluten und stellte ein unüberwindbares Hindernis dar. „Bis heute wird dieses stark arsenhaltige Wasser abgepumpt und muss aufbereitet werden.“ Die fehlende Förderung hätte nach dem Bergbaugesetz längst zur Schließung der Mine führen müssen. Dennoch erhielt Goldcorp mit Hilfe des guatemaltekischen Energie- und Bergbauministeriums mehrere Verlängerungen der Betriebserlaubnis. „Diese dienten dem Zweck, Goldcorp Zeit zu verschaffen, um einen Käufer für seine Konzession zu finden“, ist González überzeugt. Tatsächlich hatte Goldcorp das Interesse an der Mine verloren und fand 2019 mit Bluestone einen Abnehmer für seine Konzession.

„Bald wurden wir gewahr, dass Bluestone in Kanada ankündigte, mit offenem Tagebau zu den Erzvorkommen vorstoßen zu wollen“, berichtet González. Der Konzern plant, Teile von Cerro Blanco auf einem Areal mit einer Länge von 1.200 Metern, maximal 650 Metern Breite und bis zu 360 Metern Tiefe abzutragen. Dies habe die Bevölkerung endgültig wachgerüttelt. „Auch die lokale katholische Kirche engagiert sich inzwischen mit uns gegen den Tagebau. Wir gründeten ein Widerstandskomitee gegen das Vorhaben. Je mehr die Menschen sich informierten, desto größer wurde dieses. So haben wir es schließlich bis zur kommunalen Nachbarschaftsbefragung geschafft.“

Bluestone versuchte, die Bevölkerung auf seine Seite zu ziehen. „Von Anfang an gab es die Unternehmensstrategie, die Leute zu kooptieren, Projekte anzubieten“, sagt González. „Vom Straßenbau bis zu Kleinprojekten war alles dabei. Der Anstrich von Schulen, in einigen Fällen das Angebot, Kirchen zu bauen. Bluestone verschenkte auch Dünger und Pestizide an die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern. Der Höhepunkt waren Geldgeschenke. Das Unternehmen bot auch Stipendien an, die aber der Staat über das Berufsbildungswerk Intecap bereitstellte.“

Das Widerstandsbündnis reagierte. Zum einen präsentierte es mit Hilfe international anerkannter Wissenschaftler*innen wie dem Bergbauexperten Steven Emerman und der Hydrologin Dina Larios de López Studien. In diesen wird der Tagebau in Asunción Mita als nicht verantwortbar beschrieben. „Emerman widerspricht kategorisch der Versicherung des Unternehmens, die Lagerung der Abraumrückstände sei auf 100 Jahre sicher. Larios weist darauf hin, dass der geplante riesige Krater sich mit Wasser füllen und zu einer hochgiftigen Lagune würde. Das Grundwasser in Asunción Mita wäre dann nicht mehr für die Landwirtschaft und den menschlichen Konsum nutzbar.“

Streit um die Befragung der Bevölkerung

Zum anderen griff das Komitee auf die im Artikel 64 des guatemaltekischen Gemeinderechts verankerte Figur der kommunalen Nachbarschaftsbefragung zurück. „Die Landkreise haben in Guatemala nach den Reformen unter der revolutionären Regierung in den 1940er Jahren Autonomie. Sie dürfen über ihr Territorium auf der Grundlage des Bürger*innenwillens entscheiden. Im Grunde ist das an den ‚öffentlichen Ratschlag‘ aus der spanischen Kolonialzeit angelehnt, bei dem die Entscheidungen am Ende im Konsens getroffen wurden“, so González. Die Rechtsfigur aus den 1940er Jahren wurde nach den Friedensabkommen von 1996, die den guatemaltekischen Bürgerkrieg beendeten, durch die kommunale Nachbarschaftsbefragung (consulta municipal de vecinos) ersetzt.

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„Wir haben in mehreren Gemeinden Erfahrungen mit dieser Befragung gemacht. Die Menschen haben dort die jeweilige Kommunalregierung aufgefordert, das ihr von den Bürger*innen aufgetragene Mandat einzuhalten. Die Befragung ist heute das einzige Instrument, das den Gemeinden bleibt, extraktive Projekte in ihren Territorien zu verhindern“, versichert Gónzalez. Wird in der Nachbarschaftsbefragung die notwendige Beteiligung von 20 Prozent der im örtlichen Wahlregister eingeschriebenen Personen erreicht, ist das Befragungsergebnis für die Kommunalregierung und den Gemeinderat bindend. Im konkreten Fall von Asunción Mita heißt das, dass der Bürgermeister dem Bluestone-Konzern die notwendige kommunale Lizenz für den Tagebau verweigert. Die Verbindlichkeit der kommunalen Nachbarschaftsbefragung für die Lokalbehörden bestätigte auch das guatemaltekische Verfassungsgericht. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu den Befragungen der indigenen Bevölkerung nach der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation. Hier haben das Verfassungsgericht und untergeordnete guatemaltekische Gerichte mehrfach erklärt, die Entscheidungen der Bevölkerung seien für die Regierungsinstanzen nicht verbindlich. „Es ist paradox. Im Zensus bezeichnet sich nur ein Prozent der Bewohner*innen von Asunción Mita als indigen. Aber Bluestone, das Bergbauministerium und sogar der amtierende guatemaltekische Präsident Alejandro Giammattei behaupteten, in Asunción Mita müsse eine Befragung nach den Bestimmungen der ILO-Konvention 169 durchgeführt werden“, sagt González. „Diejenigen, die die Konvention anfangs am meisten attackiert haben, wollen sie nun überall durchsetzen, weil sie inzwischen ihren Interessen dient.“

Als dem Konzern klar war, die Befragung würde nicht zu verhindern sein, entließ Bluestone fast sein gesamtes Personal in Cerro Blanco. Begründung: Schuld daran trage die kommunale Nachbarschaftsbefragung. „Das führte zu Konfrontationen“, berichtet Julio González. „Außerdem suspendierten sie alle Programme einschließlich der Schulstipendien. Selbst dort, wo sie zuvor Einfluss hatten, kehrten die Leute ihnen den Rücken zu“, beschreibt der Biologe die Dynamik.

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Über einen Strohmann und mithilfe eines örtlichen Richters wollte Bluestone die Nachbarschaftsbefragung dann noch „in der 45. Minute der zweiten Halbzeit kippen“, kommentiert González. Der Antrag sei jedoch weder fristgerecht eingereicht worden noch habe er den inhaltlichen Erfordernissen entsprochen. Am Ende nahm der Konzern Anwälte unter Vertrag, die die Befragung überwachen sollten. „Sie bekamen die Gelegenheit, an den Wahltischen präsent zu sein. Das bezeugt, dass der Prozess legal, transparent und ohne Unregelmäßigkeiten ablief.“ Die Bewohner*innen von Asunción Mita errangen einen Etappensieg. Mehr jedoch nicht. „Schon einen Tag nach der Befragung verkündete Präsident Giammattei seine Unterstützung des Bergbaus. Dieser sei notwendig für die Entwicklung des Landes. Das Bergbauministerium lässt durchblicken, die Nachbarschaftsbefragung in Asunción Mita nicht anerkennen zu wollen. Damit verleugnet es die bestehenden Gesetze.“

Julio González arbeitet sehr mehr als 15 Jahren beim Kollektiv Madre Selva. Er hat Dutzende indigene und kleinbäuerliche Gemeinden bei ihrem Widerstand gegen extraktive Großprojekte begleitet.

Das Gespräch führte Gerold Schmidt und übertrug es aus dem Spanischen.

Julio González arbeitet sehr mehr als 15 Jahren beim Kollektiv Madre Selva. Er hat Dutzende indigene und kleinbäuerliche Gemeinden bei ihrem Widerstand gegen extraktive Großprojekte begleitet.

Das Gespräch führte Gerold Schmidt und übertrug es aus dem Spanischen.

Neues INKOTA-Programm: Partner*innen in Guatemala und El Salvador formen Wiederstand gegen die Mine Cerro Blanco und ihre Auswirkungen auf die Umwelt

Die im Gespräch mit Julio González thematisierte Auseinandersetzung um die Mine Cerro Blanco und das damit verbundene Wasserproblem in der Grenzregion zwischen Guatemala und El Salvador ist ab Anfang 2023 Bestandteil eines neuen INKOTA-Programms „Wasser kennt keine Grenzen". Unsere Partnerorganisationen Colectivo MadreSelva (CMS) in Guatemala und Unidad Ecológica Salvadoreña (UNES) in El Salvador werden zunächst eine binationale Umweltstudie erstellen. Ziel ist es, verlässliche Daten über die Verschmutzung des Wassers und Umweltschäden im Einzugsgebiet des Flusses Ostúa zu erheben. Auf Basis der Ergebnisse und Empfehlungen dieser Studie werden beide Organisationen mit Kampagnen und Öffentlichkeitsarbeit über die aufgedeckten ökologischen Missstände informieren. Gleichzeitig werden in den stark entwaldeten Gemeinden der Region Baumschulen eingerichtet und mit Wiederaufforstungskampagnen eine wichtige Voraussetzung für eine Erholung der Ökosysteme geschaffen.

Außerdem setzen sich unsere Partnerorganisationen für ein Abkommen über die grenzüberschreitenden Wassereinzugsgebiete zwischen Guatemala und El Salvador ein. „Durch das gemeinsame Vorgehen in El Salvador und Guatemala, bündeln wir unsere Kräfte und können unseren Forderungen nach Umweltschutz und Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen mehr Nachdruck verleihen", sagt Carolina Amaya aus dem Leitungsteam der salvadorianischen Umweltorganisation UNES. Sehr wichtig: Bei Umweltschäden und Umweltverbrechen sowie bei Drohungen, Angriffen und der Kriminalisierung von Umweltaktivist*innen werden UNES und CMS die Betroffenen unterstützen – indem sie auf ihre Anliegen aufmerksam machen und Solidarität für sie organisieren, aber auch indem sie wenn nötig durch Anwält*innen juristisch unterstützen.

Die im Gespräch mit Julio González thematisierte Auseinandersetzung um die Mine Cerro Blanco und das damit verbundene Wasserproblem in der Grenzregion zwischen Guatemala und El Salvador ist ab Anfang 2023 Bestandteil eines neuen INKOTA-Programms „Wasser kennt keine Grenzen". Unsere Partnerorganisationen Colectivo MadreSelva (CMS) in Guatemala und Unidad Ecológica Salvadoreña (UNES) in El Salvador werden zunächst eine binationale Umweltstudie erstellen. Ziel ist es, verlässliche Daten über die Verschmutzung des Wassers und Umweltschäden im Einzugsgebiet des Flusses Ostúa zu erheben. Auf Basis der Ergebnisse und Empfehlungen dieser Studie werden beide Organisationen mit Kampagnen und Öffentlichkeitsarbeit über die aufgedeckten ökologischen Missstände informieren. Gleichzeitig werden in den stark entwaldeten Gemeinden der Region Baumschulen eingerichtet und mit Wiederaufforstungskampagnen eine wichtige Voraussetzung für eine Erholung der Ökosysteme geschaffen.

Außerdem setzen sich unsere Partnerorganisationen für ein Abkommen über die grenzüberschreitenden Wassereinzugsgebiete zwischen Guatemala und El Salvador ein. „Durch das gemeinsame Vorgehen in El Salvador und Guatemala, bündeln wir unsere Kräfte und können unseren Forderungen nach Umweltschutz und Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen mehr Nachdruck verleihen", sagt Carolina Amaya aus dem Leitungsteam der salvadorianischen Umweltorganisation UNES. Sehr wichtig: Bei Umweltschäden und Umweltverbrechen sowie bei Drohungen, Angriffen und der Kriminalisierung von Umweltaktivist*innen werden UNES und CMS die Betroffenen unterstützen – indem sie auf ihre Anliegen aufmerksam machen und Solidarität für sie organisieren, aber auch indem sie wenn nötig durch Anwält*innen juristisch unterstützen.

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