Nur die eigene Versorgung im Blick
Die deutsche Rohstoffpolitik wird von Wirtschaftsinteressen dominiert.
Seit 2010 hat Deutschland eine eigene Rohstoffstrategie. Ausgearbeitet wurde sie unter maßgeblicher Mitarbeit des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI). Daher steht die Versorgungssicherheit im Mittelpunkt, während Menschenrechte und die Interessen der Förderländer kaum eine Rolle spielen. Diese Ausrichtung hat bis heute Bestand.
Bergbau ist einer der ältesten Industriesektoren der Welt. Auch in Deutschland hat er Tradition, doch der Abbau von Metallen wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nahezu auf null heruntergefahren. Die leicht zu erreichenden und lukrativen Lagerstätten waren ausgeschöpft, ökonomisch lohnte es sich nicht mehr, Erze hier abzubauen. Bis zur Jahrtausendwende waren Quantität, Qualität und geringe Preise für die nunmehr komplett importabhängige deutsche Industrie gewährleistet. Doch durch das Aufstreben der chinesischen Wirtschaft stieg um das Jahr 2000 der globale Verbrauch an metallischen Rohstoffen an und die hiesige Industrie sah mittelfristig die eigene Versorgungssicherheit gefährdet. Daher gründete sich der „Ausschuss für Rohstoffpolitik“ im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Ziel des bis heute existierenden Ausschusses ist es, das Thema Rohstoffpolitik auf die bundespolitische Agenda zu setzen.
Am 8. März 2005 kulminierte die Lobbyarbeit im ersten BDI-Rohstoffkongress. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder betonte, „dass wir eine enge Abstimmung zwischen Wirtschaft und Politik brauchen, um die Handlungsspielräume offensiv zu nutzen.“ Der Präsident des wichtigen BDI-Branchenverbandes „Wirtschaftsvereinigung Stahl“, Dieter Ameling, machte deutlich, worum es der deutschen Industrie geht. So könne „Deutschland nur dann Exportweltmeister bleiben, wenn die Unternehmen freien und fairen Zugang zu den internationalen Rohstoffmärkten erhalten.“ Unter frei und fair verstand der BDI aber nicht etwa fairen Handel, Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards beim Abbau. Vielmehr ging es von Beginn an vor allem um die günstige, ungestörte Versorgung mit Metallen, die in Deutschland zu Autos, schweren Maschinen oder Technologien weiterverarbeitet werden können.
Die Bundesregierung lieferte und stellte zwei Jahre später auf dem zweiten BDI-Rohstoffkongress 2007 den Strategieentwurf „Elemente einer Rohstoffpolitik“ vor. Gleichzeitig wurde der Interministerielle Ausschuss (IMA) Rohstoffe gegründet. In diesem tauschen sich alle beteiligten Ressorts unter Federführung des Wirtschaftsministeriums (BMWK) zur aktuellen Rohstoffpolitik aus. Als ständige Gäste sind dort ausschließlich Vertreter*innen des BDI und des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) beteiligt.
Die Industrie ist eng in die Rohstoffstrategie eingebunden
Die Verzahnung zwischen Industrie und Politik setzte sich im Oktober 2010 fort, als die Bundesregierung auf dem dritten BDI-Rohstoffkongress die finale „Rohstoffstrategie der Bundesregierung“ präsentierte. Während die Industrie bei der Entstehung eng eingebunden war, konsultierte die Bundesregierung weder die Betroffenen in den Abbaugebieten noch deutsche Umwelt-, Menschenrechts- oder Entwicklungsorganisationen. Die „Rohstoffstrategie der Bundesregierung“ liest sich daher wie der Forderungskatalog der Industrieverbände.
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In ihr werden weitere Freihandelsabkommen, eine kohärente Rohstoffdiplomatie und Streitschlichtungsklagen im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) gefordert. Vor allem handelspolitische Maßnahmen anderer Länder, wie Exportzölle oder -quoten sowie Importvergünstigungen, sollen als Wettbewerbsverzerrungen mit „harten“ Instrumenten (zum Beispiel Klagen gegen Exporteinschränkungen) und einer Rohstoffdiplomatie im Sinne der deutschen Industrie abgebaut werden. Die Strategie verspricht darüber hinaus eine stärkere Unterstützung der Industrie, um die Rohstoffquellen zu diversifizieren. Dies passiert etwa über staatliche Kredite, Investitionsgarantien und Rohstoffpartnerschaften mit rohstoffreichen Ländern, geologische Vorerkundungen und eine verbesserte Datenbereitstellung. Dazu wurde unter dem Dach der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) die Deutsche Rohstoffagentur (DERA) eingerichtet, die als Dienstleisterin sowie Beraterin der Politik und Industrie fungiert.
Lange Zeit war die Industrie mit dieser Strategie zufrieden. Aufgrund der Debatte um Industrie 4.0, neue Technologien und der Notwendigkeit, die Wirtschaft zu dekarbonisieren, überarbeitete die Bundesregierung die Rohstoffstrategie im Jahr 2020. „Ohne eine sichere Rohstoffversorgung droht Deutschland bei wichtigen Zukunftstechnologien wie der Elektromobilität, der Digitalisierung und der Energiewende an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren“, schrieb das BMWK in einer Ankündigung zur Aktualisierung der Rohstoffstrategie im Frühjahr 2019.
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Die Rohstoffpolitik der Bundesregierung müsse dazu beitragen, die Versorgung der Wirtschaft mit Rohstoffen langfristig sicherzustellen, um die industrielle Wertschöpfung zu stärken. „Mit der Fortschreibung der Rohstoffstrategie soll sowohl der sichere und wettbewerbsfähige als auch der verantwortungsvolle Rohstoffbezug in den Fokus des industriepolitischen Handelns rücken“.
Die Kreislaufwirtschaft bleibt unterbelichtet
Inhaltlich bot die Strategie wenig Neues. In den Maßnahmen führte sie die bisherige Politik mit Schwerpunkten auf Handelsabkommen, Außenwirtschaftsförderung und Forschung klar fort. Fragen der Kreislaufwirtschaft wurden in Forschungsprojekte delegiert. Mit der Ampelkoalition und den neuen Herausforderungen für die Rohstoffversorgung, angefangen von der Pandemie bis hin zum russischen Angriff auf die Ukraine, entbrannte Anfang 2022 eine Diskussion, die Rohstoffstrategie nach nur zwei Jahren erneut zu überarbeiten. Zwar arbeitet das BMWK an Eckpunkten für eine neue Rohstoffpolitik. Inwieweit die Rohstoffstrategie der Bundesregierung aber tatsächlich überarbeitet wird, ist offen. Die Diskussionen auf dem 7. BDI Rohstoffkongress im Oktober 2022 zeigen jedoch, dass Kreislaufwirtschaft weiterhin eine untergeordnete Rolle spielt, auch wenn viele Redner*innen aus Politik und Industrie anderes betonen. Eine notwendige Reduktion unseres hohen und global nicht gerechten Rohstoffverbrauchs wird nicht einmal thematisiert. Gut 20 Jahre nach der Gründung des BDI-Rohstoffausschusses hat sich in der Ausrichtung der deutschen Rohstoffpolitik nichts Wesentliches verändert.
Michael Reckordt arbeitet bei PowerShift zum Thema Rohstoffpolitik.
Michael Reckordt arbeitet bei PowerShift zum Thema Rohstoffpolitik.