Industrie und Politik setzen große Hoffnungen in die Digitalisierung landwirtschaftlicher Prozesse. Doch wer letztlich davon profitiert, hängt davon ab, wer die Technologien kontrolliert. In den Händen weniger global agierender Unternehmen verlieren Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zum Beispiel die Kontrolle darüber, was auf dem Ackerland angebaut wird. Im Südlink-Interview spricht Pat Mooney, Träger des alternativen Nobelpreises, über die neue Mega-Erzählung Digitalisierung.

Alle sprechen von der Digitalisierung in der Landwirtschaft. Was können wir uns darunter vorstellen?
Es gibt zwei Arten der Digitalisierung in der Landwirtschaft. Die eine ist das, was man am ehesten erwartet: Sensoren an Traktoren, künstliche Intelligenz und Roboter, die mittlerweile so programmiert sind, dass sie entweder mehrere Arbeiten auf einmal erledigen oder eine Vielzahl von Informationen zum Beispiel über den Ernteertrag, das Wetter oder den Gebrauch von Düngemitteln erfassen und auswerten können. Der zweite Bereich ist weniger offensichtlich und betrifft die Genome. Vieh oder Pflanzen werden mit neuen Gentechnikverfahren in ihrer DNA verändert. Es geht hier um die Digitalisierung der DNA, der Doppelhelix. Am Ende kann derselbe Computer sowohl die Biologie der Pflanzen als auch die Erntemaschinen auf dem Feld verwalten.

Magazin
Südlink 186 - Das Mittelmeer
Zwischen Austausch und Abgrenzung | Dezember 2018
Magazin
Südlink 186 - Das Mittelmeer
Zwischen Austausch und Abgrenzung | Dezember 2018
Ein frühes Labor der Globalisierung, eine Brücke für Ideen und Wissen, ein Ort der Vermittlung zwischen Europa und Afrika. Schon seit den Frühzeiten gab es im Mittelmeer einen regen Austausch zwischen Nord und Süd. Aber wie sieht es heute damit aus? Um das Mittelmeer…

Welche Folgen hat der Einsatz neuer Technologien in der Landwirtschaft?
Einige Glieder in der Agrarlieferkette – vom Saatgut über Düngemittel und Maschinen bis hin zu den Händlern und Verarbeitern – können viel enger als bisher miteinander verknüpft werden. Es kann somit zwischen Unternehmen an verschiedenen Enden der Agrarlieferkette Fusionen geben, an die wir vorher nie gedacht hätten. Eine andere Auswirkung ist, dass Größe nicht mehr so wichtig ist. Während früher Großunternehmen mit großen Ernten, Feldern, Viehbeständen oder Fischereiprojekten arbeiten wollten, können sie nun mittels digitaler Steuerung ihre Algorithmen anpassen, um jede Produktionsgröße zu verwalten. Das mag zwar gut klingen. Aber das Risiko besteht darin, dass sie zunehmend die bäuerliche Erzeugung weltweit kontrollieren und darüber entscheiden könnten, was mit dem und auf dem Acker geschieht.

 

Sowohl die Privatwirtschaft als auch die Politik schreiben der Digitalisierung in der Landwirtschaft ein enormes Potenzial zu. Bietet sie tatsächlich die Lösung für sämtliche gesellschaftliche und ökologische Krisen im Agrarbereich?
Wir gehen immer davon aus, dass es eine schnelle technologische Lösung für all unsere Probleme gibt. Als wir in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren wegen Überbevölkerung und Hunger besorgt waren, galt die Grüne Revolution als Lösung. In den 1980er und 1990er Jahren waren es Biotechnologie und gentechnisch veränderte Pflanzen, und heute soll eine neue Generation der Biotechnologie, nämlich die Digitalisierung der Landwirtschaft und neue Gentechnikverfahren ein großer Teil der Lösung sein. Oder glauben wir jetzt auf einmal ernsthaft, die Probleme des Welthungers und der Umweltbelastungen durch die Landwirtschaft mit einer neuen App lösen zu können?

Tatsächlich haben wir weder die Probleme in den 50er oder 60er Jahren noch in den 70er oder 80er Jahren mit der Biotechnologie gelöst, und wir werden sie damit auch heute nicht lösen. Wir müssen erkennen, dass sich Technologien immer in einem gewissen Kontext abspielen. Obwohl sie faszinierend, interessant und potenziell nützlich sein können, werden sie denen, die hungern, oder denen, die gutes Essen wollen, keine Vorteile bringen, wenn sie im falschen Kontext angewendet werden. Es ist naiv zu glauben, dass die Digitalisierung die Welt retten kann.

Welche Konzerne sind die zentralen Akteure in der Digitalisierung der Landwirtschaft?
Durch die Digitalisierung betreten neue Akteure die Bühne, die wir dort niemals erwartet hätten: Google, Amazon oder Alibaba und Tencent aus China sind alle in diesem Bereich aktiv. Auch Kapitalanlageunternehmen wie Blackrock, Blackstone, Vanguard und State Street betätigen sich plötzlich in der digitalen Landwirtschaft.

Und was ist mit den klassischen Agrarunternehmen?
Unter diesen nehmen die Fusionen zu: Bayer übernimmt Monsanto, eine Firma namens ChemChina schluckt Syngenta aus der Schweiz und amerikanische Chemieunternehmen wie Dow und DuPont bilden jetzt das Agrarunternehmen Corteva AgriScience. Doch die wirkliche Macht liegt bei den Herstellern von Landmaschinen. Ein Unternehmen wie John Deere hat sich seit 2001 viele wichtige Unternehmen im Digitalsektor einverleibt oder ist Partnerschaften und Joint Ventures eingegangen. Damit haben sie unter anderem damit begonnen, Satelliteninformationen über das Wetter und Marktbedingungen zu sammeln.

John Deere verfügt auch über die Sensoren, sodass mit dem Traktor auf dem Feld oder wenn der Mähdrescher die Ernte einfährt jeder Quadratzentimeter überwacht wird. Der Landmaschinenhersteller weiß genau, welches Saatgut, welcher Dünger, welche Pestizide auf das Feld kommen oder wie die Bodenqualität beschaffen ist. Und dann kehren sie am Ende zum Ernten zurück und wissen genau, welche Erträge damit eingefahren wurden. Sie haben also mehr Informationen als Bayer, BASF oder Cargill. In einigen Jahren werden die Landmaschinenhersteller auf Einkaufstour gehen. Es kann gut sein, dass auf John Deeres Einkaufszettel dann Bayer oder BASF stehen werden.

Was bedeutet die Digitalisierung konkret für kleinbäuerliche Erzeuger*innen und all jene, die in der Landwirtschaft oder der Nahrungsmittelindustrie weltweit arbeiten?
Es bedeutet, dass ein weit entferntes Unternehmen jeden Aspekt des Feldes eines Kleinerzeugers dominieren könnte, ob er nun in Madagaskar Vanille oder in China Reis anbaut. Dieses Unternehmen kann exakt vorschreiben, welches Saatgut du säen musst, welchen Dünger, welche Pestizide und welche Maschinen du verwenden musst, um auf dem Feld den maximalen Ertrag zu erzielen. Und nur wenn du das machst und alle anderen Vorgaben einhältst, schließen sie mit dir eine Ernteversicherung, die gerade in Zeiten des Klimawandels immer wichtiger wird, ab.

Auf den von Cargill betriebenen Palmölplantagen in Malaysia werden die Arbeiter*innen inzwischen von Drohnen überwacht. Das Unternehmen sagt, dass es durch die Überwachung lediglich illegale Entwaldung verhindern will. Doch in Wirklichkeit kontrolliert es die Arbeit*innen. Im übrigen Ernährungssystem werden Arbeiter*innen aufgrund der Automatisierung nun überflüssig und können ihre Jobs verlieren. Yara, die zweitgrößte Düngemittelfirma der Welt aus Norwegen, entwickelt bereits autonom fahrende Schiffe, um ihren Dünger weltweit zu transportieren.

Kann die Digitalisierung Kleinbauern und Kleinbäuerinnen auch nützen?
Digitale Instrumente werden natürlich von bäuerlichen Erzeugern und Erzeugerinnen genutzt und kommen ihnen zugute. Es ist möglich, dass Bauern und Bäuerinnen beispielsweise in einem Workshop zu Agrarökologie, vielleicht in Mittelamerika oder Westafrika, Saatgut austauschen und sich anschließend gegenseitig helfen können. Ein Bauer kann einem anderen aus einem anderen Land oder sogar anderen Kontinent berichten, welche Besonderheiten die von ihm erhaltene Pflanze hat. Er kann mit dem Handy ein Foto schicken und der andere Bauer sagt: „Oh, ich kenne das Problem, ich weiß, was du dagegen tun kannst.“ Und weil die Landwirte organisiert sind und Vereinigungen haben, sind sie zunehmend in der Lage, diese Informationen so zu übersetzen und zu verwenden, dass sie dabei helfen, Schädlinge und Krankheiten zu verstehen.

Was würden Sie tun, um die Macht von Bayer & Co. einzuschränken?
Mein Vorschlag wäre, einige der bestehenden Unternehmen zu entflechten, weil sie für die Ernährungssicherheit nicht sinnvoll sind. Ich würde niemals eine Fusion wie die von Bayer und Monsanto zulassen. Zweitens müssen wir es breiter betrachten. Welche Politik verfolgt eine Regierung beim Wettbewerbsrecht, wenn es faktisch okay und legal ist, dass zwei Unternehmen auf einem spezifischen Markt alles kontrollieren? Wir müssen auch anerkennen, dass für viele Unternehmen, die jetzt in dem Digitalisierungsgeschäft zugange sind, ihr Marktanteile weniger wichtig sind als ihr Zugang zu und die Kontrolle über Daten und Informationen. Das hat sich aufgrund der Digitalisierung geändert. Auf jeden Fall müssen wir das Wettbewerbsrecht verschärfen.

Und was muss politisch noch geschehen?
Wir brauchen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene, langfristig auch auf Ebene der Vereinten Nationen, Verfahren und Politiken, mit denen wir Technologien bewerten können. Ist eine Technologie gut oder schlecht? Wie können wir sicherstellen, dass wir das Gute und nicht das Schlechte bekommen? Wie beurteilen wir das als Gesellschaft? Wer beteiligt sich an der Bewertung der Technologien und ihrer Folgenabschätzung? Werden das nur Unternehmen unter sich ausmachen oder wird es tatsächlich so sein, dass die Menschen Entscheidungen darüber treffen dürfen? Die bäuerlichen Erzeuger und Erzeugerinnen und ihre Organisationen sollten diejenigen sein, die über den politischen Rahmen der Technologie mitbestimmen. Das ist essenziell, denn die Technologien müssen den Bauern und Bäuerinnen und den Interessen der Allgemeinheit dienen.

Das Interview führte Jan Urhahn im Oktober 2018. Übersetzung aus dem Englischen von Tobias Lambert.

Zum Autor

Pat Mooney ist Gründer der ETC Group aus Kanada und Träger des Alternativen Nobelpreises. INKOTA und andere haben soeben die von ihm verfasste Studie „Blocking the chain. Konzernmacht und Big-Data-Plattformen im globalen Ernährungssystem“ veröffentlicht. 

Pat Mooney ist Gründer der ETC Group aus Kanada und Träger des Alternativen Nobelpreises. INKOTA und andere haben soeben die von ihm verfasste Studie „Blocking the chain. Konzernmacht und Big-Data-Plattformen im globalen Ernährungssystem“ veröffentlicht. 

Abo

Abonnieren Sie den Südlink

Im Südlink können Autor*innen aus dem Globalen Süden ihre Perspektiven in aktuelle Debatten einbringen. Stärken Sie ihnen den Rücken mit Ihrem Abo: 4 Ausgaben für nur 18 Euro!

Der Südlink ist das Nord-Süd Magazin von INKOTA. Eine Übersicht über das Südlink-Magazin finden Sie hier.

Südlink Magazin

Ihre Spende hilft!

INKOTA-Spendenkonto
IBAN DE 06 3506 0190 1555 0000 10
BIC GENODED1DKD

Hier können Sie für ein Projekt Ihrer Wahl oder zweckungebunden spenden: