Die Muster bleiben gleich
Chinesische Textilinvestitionen in Afrika haben Tradition, die schlechte Behandlung der Arbeiter*innen auch.
Die chinesische Präsenz im afrikanischen Textilsektor ist bedeutend und auf viele Länder verteilt. Doch weder in den alten Fabriken noch in den neuen Industrieparks und Sonderwirtschaftszonen stehen die Rechte der Textilarbeiter*innen hoch im Kurs.
Wuxi ist einer der größten chinesischen Baumwollkonzerne in der Textilindustrie. 2017 investierte das Unternehmen 220 Millionen US-Dollar in den Bau einer Fabrik in Äthiopien. Konzernchef Zhou Ye Jun begründete dies so: „Afrika hat einige einzigartige Vorteile für chinesische Investoren. Es liegt näher an den europäischen und amerikanischen Märkten als Asien und bietet handelsfreundlichere Bedingungen mit der Europäischen Union und den USA.“ Weiter verwies Zhou Ye Jun auf die „reichhaltigen natürlichen Ressourcen und niedrige Lohnkosten“.
Gebaut von der China Civil Engineering Construction Corporation (CCECC), gehört Wuxis Betrieb im Dire Dawa Industrial Park zu den vielen staatlich geführten chinesischen Unternehmen, die im Rahmen der Neuen-Seidenstraßen-Initiative (Belt and Road Initiative, BRI) in der Textilindustrie in Afrika aktiv sind. Allein in Äthiopien gibt es 31 weitere chinesische Investitionsprojekte im Textil- und Ledersektor. Andere Standorte sind in Südafrika, Nigeria, Tansania, Simbabwe, Ghana, Sambia und Uganda. Bereits vor der BRI konzentrierte China seine Afrika-Investitionen im verarbeitenden Gewerbe auf die Textilbranche. Davon zeugen 58 Projekte in Südafrika, Lesotho, Swaziland, Botswana und Mosambik im Zeitraum von 1979 bis 2000.
„Go Out“-Politik
Ende der 1990er Jahre begann China mit seiner „Go Out“-Politik, die starke Impulse für staatlich gelenkte Investitionen in der afrikanischen Textilindustrie lieferte. Das in der Inneren Mongolei ansässige und in Hong Kong registrierte Woll- und Strickwarenunternehmen King Deer Cashmere (KDC) gehörte damals zu den größten Firmen, die „nach draußen“ gingen. KDC baute 1997 auf Madagaskar eine Fabrik in Antananarivo, die jährlich 1,5 Millionen Kaschmirpullover produziert. Die Kommunalregierung von Qingdao investierte in den sambischen Industriepark von Mulungushi. Alle wollten die Handelsvorteile nutzen, die die USA, die EU und das 2005 ausgelaufene Welttextilabkommen für afrikanische Textilprodukte gewährten.
Im neuen Jahrtausend richtete China sein Augenmerk auf die Errichtung von Sonderwirtschaftszonen (SWZ) mit Steuer- und Zollbefreiungen, um staatlich geförderte Investitionen dorthin zu lenken. Einige dieser Zonen widmeten sich speziell der Textilindustrie. Auf Mauritius investierte China 270 Millionen US-Dollar in Webstoffe, Kleidung, Maschinen und Technologie, in Nigeria 369 Millionen US-Dollar in Textilien, Transportausrüstung und Telekommunikation. Die staatlich gelenkten Unternehmen dominierten die Investitionen in der Textilindustrie.
Die Neue Seidenstraße belebte die nach der Einführung liberaler Handelspolitiken zurückgehenden chinesischen Investitionen neu. Anders als zuvor sind die chinesischen Investoren seitdem vor allem Privatunternehmen. Chinesische Direktinvestitionen in Textilfabriken sind im Vergleich zur Go-Out-Periode seltener geworden. Dennoch ist der Industriepark Hawassa (HIP) in Äthiopien ein hervorstechendes Beispiel für ihre Reichweite und Auswirkungen. HIP ist der größte „Öko-Industriepark“ in Afrika, Bauherr war wie beim anfangs erwähnten Dire Dawa Park der chinesische Konzern CCECC.
Chinesische Investitionen in ein neues äthiopisches Straßennetz sowie eine elektrifizierte Bahnstrecke, die Industriezonen des Landes mit einem Hafen in Dschibuti verbindet, begleiteten den Bau. Die zusätzliche Infrastruktur, eine emissionsfreie Wasseraufbereitungsanlage sowie günstige weiträumige Flächen im Industriepark zogen globale Marken wie Calvin Klein, Tommy Hilfiger und H&M an. Das wiederum verbesserte Äthiopiens Platz in den globalen Wertschöpfungsketten und verschaffte dem Land Einnahmen.
Prekäre Arbeitsbedingungen
Die Neue Seidenstraße soll Afrika Vorteile bringen, doch die Arbeitsbedingungen bei den chinesischen Unternehmen sind ein Problem. Es gibt Sicker-Effekte für die afrikanischen Arbeiter*innen: Chinesische Firmen führen an, bis zu 60.000 Jobs geschaffen zu haben. Von China gebaute Krankenhäuser bieten Arbeiter*innen vor Ort eine zugängliche und bezahlbare Gesundheitsversorgung. Aber Fachwissen und Technologien werden nicht transferiert.
Die Mehrheit der afrikanischen Beschäftigten führt gering qualifizierte Jobs aus, während die Chines*innen für das Management und die Technik zuständig sind. Niedrige Löhne, Gelegenheitsarbeit, gefährliche Arbeitsumgebungen, genderspezifische Misshandlungen und fehlender Wissenstransfer kennzeichnen die Lage afrikanischer Arbeiter*innen in den chinesischen Textilbetrieben.
Kampagnen und Berichte über Missstände haben angeblich den Unternehmen der Neuen Seidenstraße Druck gemacht, Umweltbelange und soziale Verantwortung zu berücksichtigen. Doch die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie haben sich nicht verbessert.
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Das Institut für Sicherheitsstudien (ISS), eine afrikanische Nichtregierungsorganisation, verglich die Arbeitspraktiken in chinesischen und taiwanesischen Fabriken in Lesotho von 2012 mit denen im Zeitraum von 2019 bis 2021. Die missbräuchlichen Praktiken blieben konstant. Das Management stellte die Arbeiter*innen jeweils oft direkt am Werktor mündlich ein, bezahlte sie nach Stückzahlen, gab unmögliche Produktionsziele vor, erzwang Überstunden und änderte die Tagesvorgaben. Zu den Gefahren für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz gehörten kaputte Toiletten, unzulängliche Essensbereiche und fehlende warme Kleidung im Winter. Chinesische Aufseher griffen zu verbaler und physischer Gewalt. Gendergewalt durch eingeforderte sexuelle „Gefälligkeiten“ als Gegenleistung für Arbeit sowie sexuelle Belästigung waren an der Tagesordnung.
Im Industriepark Hawassa in Äthiopien beschweren sich die Arbeiter*innen über niedrige Löhne, lange Arbeitszeiten und fehlenden Arbeitsschutz. Der Grundlohn beträgt ihren Angaben nach weniger als einen US-Dollar pro Tag, die Arbeiter*innen können sich kaum eine Seife leisten.
In Uganda beklagt der Vertreter einer Textilgewerkschaft den niedrigen Tageslohn von 5.000 Uganda-Schillingen (weniger als zwei US-Dollar) für die Beschäftigten, in der Regel Frauen und junge Leute. Der 2015 per Gesetz auf umgerechnet 35 Dollar angehobene monatliche Mindestlohn reicht nicht aus, um den Arbeiter*innen in der Textil- und Lederbranche ein würdiges Leben zu ermöglichen. Die Lebenshaltungskosten sind unter extrem schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen wesentlich höher als der Mindestlohn. Aus einem lederverarbeitenden Unternehmen mit chinesischem Kapital berichten die Arbeiter*innen über „Pilzinfektionen an den Fingern“.
Gelegenheitsarbeiter*innen haben keinen Zugang zum ugandischen Sozialversicherungssystem. Oft sind sie ungerechtfertigten Kündigungen ausgesetzt, Leistungen werden ihnen verweigert. In den Textilfabriken ist die Gendergewalt präsent, Mitglieder der LGBTQ-Community, Menschen mit Behinderungen und Personen mit HIV/AIDS werden diskriminiert. Schwangere Frauen werden mit Entlassung bedroht, wenn sie nicht abtreiben. Während der Covid-Schließungen gab es häufige sexuelle Übergriffe gegen das weibliche Reinigungspersonal in den Betrieben.
Textilarbeiter*innen wehren sich individuell gegen die Ausbeutung: durch Kündigung und wilde Streiks. Letztere geschehen, weil die Versuche gewerkschaftlicher Organisation ständig untergraben werden. Laut der ugandischen Textilgewerkschaft torpedieren die chinesischen Unternehmen die Gewerkschaften häufig, indem sie deren Führung entlassen und Tarifrechte mit Hinweis auf eigene fehlende Englischkenntnisse nicht anerkennen.
Um Mitglieder zu gewinnen, müssen die Gewerkschaften im Untergrund arbeiten, da ihnen die Arbeit auf den Fabrikgeländen verwehrt wird. Fehlende Solidarität zwischen einheimischen und chinesischen Arbeiter*innen behindern die Organisationsbestrebungen ebenfalls. Die Sprachbarriere zwischen Gewerkschafter*innen und chinesischen Arbeiter*innen sowie das Lohngefälle erschweren die Teilnahme letzterer an Protesten und Arbeitskämpfen. Ein Beispiel: Als einheimische, bangladeschische und philippinische Arbeiter*innen einer Textilfabrik malaysischer Eigner in Namibia gegen niedrige Löhne und schlechte Behandlung aufbegehrten, schienen die chinesischen Arbeiter*innen eher zufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen und Löhnen zu sein.
Regierungen können die Gewerkschaften weiter schwächen und Arbeitskämpfe einschränken, indem sie „streikfreie Zonen“ in Textilparks anerkennen, gegen Proteste zielende Gesetze einführen und gewerkschaftliche Organisationen daran hindern, für die Rechte der Arbeiter*innen einzutreten.
Arbeiter*innenrechte inner- und außerhalb Chinas
Die Neue Seidenstraße hat eine neue Welle chinesischer Direktinvestitionen nach Afrika gebracht, doch an der Behandlung der Arbeiter*innen nichts geändert. 2022 merkten die ugandischen Gewerkschafter*innen: Die afrikanischen Arbeiter*innen waren während der Coronapandemie in den Betrieben genauso harschen geschlossenen (closed-loop) Produktionssystemen unterworfen wie ihre Kolleg*innen in China. Angesichts dieser Ähnlichkeiten sollten die Arbeitskämpfe in China und Übersee dringend verknüpft werden, um sich der expandierenden kapitalistischen Ausbeutung mit den „Merkmalen des chinesischen Sozialismus“ besser entgegenstellen zu können.
Fehlende Vereinigungsfreiheit und das Vorgehen gegen unabhängige Gewerkschaften sind herausfordernd für die Solidarität zwischen Arbeiter*innenorganisationen in China und den Ländern, in denen China aktiv ist. Aber sollte es nicht möglich sein, internationale Solidarität und einen Austausch zwischen Arbeiter*innen und Aktivist*innen in verschiedenen Ländern des globalen Südens aufzubauen, die von chinesischen Investitionen betroffen sind?
Aus dem Englischen von Gerold Schmidt.
Globalization Monitor (GM) ist eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Hong Kong. Sie beobachtet die nachteiligen Auswirkungen der Globalisierung auf Arbeitnehmer*innen und Umwelt in den Ländern des globalen Südens.
Irene Lanyero ist Mitglied der Ugandischen Textil-, Bekleidungs- und Ledergewerkschaft UTGLAWU.
Globalization Monitor (GM) ist eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Hong Kong. Sie beobachtet die nachteiligen Auswirkungen der Globalisierung auf Arbeitnehmer*innen und Umwelt in den Ländern des globalen Südens.
Irene Lanyero ist Mitglied der Ugandischen Textil-, Bekleidungs- und Ledergewerkschaft UTGLAWU.