Vertreibung mit Klimaschutzgeldern
Das umstrittene Bio-Clima-Projekt in Nicaragua und die fragwürdige Rolle der Zentralamerikanischen Bank für wirtschaftliche Integration
Eigentlich ist der multilaterale „Grüne Klimafonds“ eine gute Sache. Mit internationalen Geldern finanzieren die Vereinten Nationen damit Vorhaben zur Anpassung an den Klimawandel und zum Schutz der Umwelt und der Biodiversität. In Nicaragua allerdings sollen Gelder für das Bio-Clima-Projekt ohne ausreichende Kontrolle an das autoritäre Regime von Präsident Daniel Ortega fließen. Regelmäßig gibt es schwere Übergriffe auf indigene Gemeinden. Die meisten Gelder kommen von einer Entwicklungsbank, die wegen lascher Umwelt- und Menschenrechtsstandards und ihrer Nähe zur Regierung Nicaraguas in der Kritik steht.
Das rund 2,2 Millionen Hektar umfassende Biosphärenreservat Bosawás in Nicaragua liegt in der Region Mosquitia an der Grenze zu Honduras und umfasst eine der größten zusammenhängenden Tropenwaldregionen Lateinamerikas nördlich des Amazonasbeckens. Gemeinsam mit den 1,3 Millionen Hektar des Biosphärenreservats Rio San Juan an der Grenze zu Costa Rica bildet es die grüne Lunge Zentralamerikas und beherbergt eine große Anzahl von Pflanzen- und Tierarten, von denen einige vom Aussterben bedroht sind. Die beiden von der UNESCO anerkannten und gesetzlich geschützten Gebiete werden seit 2005 von indigenen und afro-indigenen Gemeinschaften in den autonomen Regionen der Karibikküste Nicaraguas verwaltet, die sich für ihren Schutz einsetzen.
Wegen der herausragenden Bedeutung für den Erhalt der einzigartigen Biodiversität und zur Eindämmung der Klimakrise in der höchst vulnerablen Region Zentralamerika hat der Green Climate Fund (GCF) im November 2020 Gelder in Höhe von 64 Millionen US-Dollar für den Schutz der beiden Reservate gegen Entwaldung und zur Stärkung der Resilienz der Gemeinden bewilligt. Das sogenannte Bio-Clima-Projekt war jedoch von Anfang umstritten, da diese Gebiete von schweren Konflikten betroffen sind. Grund hierfür ist unter anderem, dass die Rechte indigener Gemeinschaften in Nicaragua zwar durch die Verfassung, das Autonomiegesetz von 1998 und weitere Gesetze geschützt sind, der Prozess der Legalisierung der Landtitel aufgrund mangelnder Durchführungsgesetze jedoch nie umgesetzt wurde.
Die fehlende Rechtssicherheit hat dazu geführt, dass die indigenen Gemeinschaften im Biosphärenreservat Bosawás seit acht Jahren von nicht-indigenen, bewaffneten Siedlern angegriffen und aus ihren Gebieten vertrieben werden. Allein zwischen 2015 und 2022 wurden mindestens 63 Indigene von Siedlern getötet, 46 werden noch vermisst. Am 15. März dieses Jahres drangen mehr als 60 bewaffnete Männer in den frühen Morgenstunden in eine Wilu-Mayangna-Gemeinde an der Karibikküste ein und brannten alles nieder, es gab mindestens sechs Tote und mehrere Verletzte. Weniger als zehn Tage später, am 22. März, wurde Salomón López Smith, Führer des Volkes der Mayangna, brutal gefoltert und ermordet.
Vor der Bewilligung des Bio-Clima-Projektes hatten zivilgesellschaftliche Organisationen wiederholt darauf hingewiesen, dass der Kontext von Gewalt und Vertreibung sowie fehlende Konsultationsprozesse die Risiken für negative Auswirkungen auf Umwelt und Biodiversität erhöhen und es unwahrscheinlich machten, dass die indigenen Gemeinden vom Bio-Clima-Projekt profitieren können. Ferner kritisierten soziale Bewegungen und zivilgesellschaftliche Organisationen mit Beobachterstatus beim GCF, dass die für das Projekt verantwortliche Finanzinstitution, die zentralamerikanische Bank für wirtschaftliche Integration (Banco Centroamericano de Integración Económica, BCIE) wegen mangelnden Monitorings von Menschenrechts- und Umweltstandards, der unkritischen Kreditvergabe an das repressive Ortega-Murillo-Regime und aufgrund des Vorwurfs der Korruption und des politischen Klientelismus innerhalb der Institution zunehmend negative Schlagzeilen mache. Die BCIE mit Sitz in Tegucigalpa (Honduras) wurde 1960 gegründet, um die wirtschaftliche Integration und die Entwicklung der zentralamerikanischen Länder zu fördern. Die Bank finanziert sich aus Beiträgen der Mitgliedsländer und internationalen Krediten, zum Beispiel von der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).
Zivilgesellschaftliche Allianz setzt einen Präzedenzfall und gewinnt historisches Beschwerdeverfahren
Da die Kritik beim GCF kein Gehör fand, leitete eine breite Koalition aus nicaraguanischen Organisationen und internationalen NGOs im Juni 2021 ein Beschwerdeverfahren gegen das Projekt ein. Die Beschwerdeführer*innen, deren Identität aus Sicherheitsgründen nur dem unabhängigen Rechtsbehelfsmechanismus (Independent Redress Mechanism = IRM) des GCF bekannt ist, argumentierten, dass das Projekt zu einer weiteren Verschärfung bereits bestehender, schwerwiegender Konflikte in indigenen und afro-indigenen Gemeinschaften an der Karibikküste führen könnte. Die Genehmigung sei erfolgt, obwohl es Sorgfaltspflichten des GCF nicht hinreichend berücksichtigte. Im März 2022 nahm der IRM die Klage an und organisierte in den folgenden Monaten verschiedene Erkundungsmissionen in Nicaragua und Costa Rica, in denen er sich mit Mitgliedern der Beschwerdekoalition und mit Vertreter*innen betroffener Gemeinden traf.
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Der (vorläufige) Endbericht gab den Kläger*innen im August 2022 in allen Punkten recht und kam zu der Schlussfolgerung, dass die vorgebrachten Bedenken hinsichtlich der Art, der Schwere und des Ausmaßes gewaltsamer Konflikte in den Projektgebieten berechtigt seien. Auch seien die Befürchtungen, das Projekt könne Konflikte und Gewalt auslösen oder verschärfen, glaubwürdig belegt worden. Der Bericht rügt, dass das Bio-Clima-Projekt vom GCF-Sekretariat bewilligt wurde, obwohl es gegen zahlreiche soziale und ökologische Sorgfaltspflichten des GCF verstoße sowie Vorgaben zur Gendergerechtigkeit und der Beteiligung indigener Völker verletze. Auch seien vor der Projektbewilligung keine ausreichende Befragung der indigenen Gemeinden durchgeführt und das Prinzip der freien, vorherigen und informierten Zustimmung verletzt worden. Aus diesen Gründen schlägt der Bericht vor, die Auszahlung der Gelder, die bis heute auf Eis liegen, an eine Reihe von für den nicaraguanischen Staat und die für die Durchführung verantwortliche Finanzinstitution BCIE verbindliche Auflagen zu knüpfen.
Debatten unter Ausschluss der Zivilgesellschaft
Der Bericht wurde zwar allen am Beschwerdeverfahren beteiligten Parteien zugänglich gemacht (dem nicaraguanischen Staat, der BCIE und der Beschwerdeallianz), kommentieren durften ihn aber lediglich der nicaraguanische Staat und die BCIE. Der Verwaltungsrat des GCF diskutierte die Ergebnisse des Untersuchungsberichtes auf zwei Sitzungen (im Oktober 2022 und März 2023) hinter verschlossenen Türen, ohne Beobachter*innen aus der Zivilgesellschaft zuzulassen, und verschob die Entscheidung über die Umsetzung der Empfehlungen und Auflagen des Untersuchungsberichts auf die Sitzung im Juli 2023.
Beschwerdeverfahrens des GCF und eine Missachtung der Empfehlungen beziehungsweise Auflagen des Untersuchungsberichts. Dies würde nicht nur das Ansehen des GCF und der multilateralen Klimafinanzierung schwächen, sondern auch dazu beitragen, dass Diktatoren wie Daniel Ortega internationale Klimamittel missbrauchen könnten.
Der nicaraguanische Biologe und Direktor der Fundación del Río, Amaru Ruiz, befürchtet, dass Gelder des Bio-Clima-Projekts nicht den betroffenen Gemeinden zugutekämen, sondern den „Viehzüchtern, die für die Entwaldung verantwortlich“ seien. Außerdem würden die zur Konfliktlösung vorgeschlagenen Mechanismen die „indigene Bevölkerung zwingen, mit ihren Mördern zusammenzuleben“.
Eine Bank auf Abwegen und ihr zwielichtiger Präsident
Trotz zahlreicher Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen durch die Regierung Ortega hat die BCIE weiterhin großzügige Kredite an Nicaragua vergeben. Im Gegensatz zur Weltbank, die in den letzten Jahren ihre Kredite an das Ortega-Regime einschränkte, hat die BCIE allein 2021, dem Jahr, in dem das Regime sieben Oppositionskandidat*innen im Vorfeld der Wahlen verhaftete, Kredite in Höhe von 455 Millionen US-Dollar an Nicaragua vergeben. 2022 waren es sogar 482 Millionen US-Dollar. Noch Anfang März verteidigte BCIE-Präsident Dante Mossi die Kreditvergabe. In einer vom Interamerican Dialogue organisierten Debatte nannte er Ortega einen „legitimen“ Präsidenten und betonte, die Entscheidungen der Bank beruhten nicht auf Menschenrechtsklauseln, sondern auf Mehrheitsentscheidungen des Exekutivrates aus Vertreter*innen der fünf Mitgliedstaaten.
Der skandalöse Auftritt hatte Konsequenzen. Am 17 März forderten die Auswärtigen Ausschüsse des US-amerikanischen Repräsentantenhauses und Senats die Präsident*innen von Guatemala, Honduras, El Salvador und Costa Rica auf, „ihren Einfluss und ihre Stimmen als Aktionäre und Gründungsmitglieder der Zentralamerikanischen Bank für Wirtschaftliche Integration einzusetzen, um sicherzustellen, dass die Kredite der Bank nicht zur Konsolidierung der nicaraguanischen Diktatur beitragen“. Die Proteste gegen den „Bankier der Diktatoren“ zeigten Mitte Mai schließlich Wirkung: Das Kontrollgremium des BCIE lehnte die Wiederwahl Mossis ab und diktierte ihm für die letzten Monate seiner Amtszeit bis Dezember 2023 strikte Auflagen.
Dies ist ein wichtiger, jedoch kein hinreichender Schritt zur dringend notwendigen Neuausrichtung der BCIE. Hier ist auch die Bundesregierung gefordert. Denn nach wie vor ist die BCIE einer der Hauptzuwendungsempfänger bundesdeutscher Entwicklungshilfegelder in Zentralamerika. Eine menschenrechtsorientierte Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit müssen dafür Sorge tragen, dass deutsche Gelder bei den Zielgruppen ankommen und nicht zur Stabilisierung von Diktaturen missbraucht werden. Die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau sollte bei der Vergabe von Mitteln an die BCIE nicht nur die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards einfordern, sondern auch ein striktes Monitoring betreiben, um sicherzustellen, dass diese in den jeweiligen Projekten auch eingehalten werden. Hierbei könnte sie auf die Erfahrungen und Expertise zivilgesellschaftlicher Organisationen in der Region zurückgreifen.
Ingrid Wehr leitet das Regionalbüro der Heinrich-Böll-Stiftung für Zentralamerika in San Salvador.
Ingrid Wehr leitet das Regionalbüro der Heinrich-Böll-Stiftung für Zentralamerika in San Salvador.