Die Hoffnung kommt von unten
Während die Eliten in Zentralamerika den Status quo verteidigen, fordern soziale Bewegungen einen Aufbruch.
Seit der Kolonialzeit werden die Geschicke Zentralamerikas überwiegend von einer kleinen herrschenden Elite und externen Mächten bestimmt. Doch immer wieder lehnten sich Menschen dagegen auf und versuchten, eine gerechtere Gesellschaft zu erreichen. Ein kurzer Überblick über die Länder der Region und ihre Geschichte von Gewalt und Widerstand.
Sie gehen gemeinsam. Im Februar machten sich von der honduranischen Großstadt San Pedro Sula aus mehrere Hundert Menschen auf den Weg über Guatemala und Mexiko in Richtung USA. Es ist die fünfte sogenannte Karawane seit vergangenem Oktober, den vorherigen hatten sich tausende Zentralamerikaner*innen angeschlossen.
Dabei sind die Chancen der Migrant*innen, auf diese Weise ihr Zielland zu betreten, gering. US-Präsident Donald Trump bezeichnete bereits die erste Karawane als „Invasion“, die es zu stoppen gelte, verlegte zusätzliche Soldaten an die Grenze und drohte den Hauptherkunftsländern damit, Hilfsgelder einzufrieren. Doch während Trump daheim um die Finanzierung seiner erhofften Grenzmauer kämpft, wählen immer mehr Menschen diesen Weg. Die Sichtbarkeit verleiht ihnen Schutz auf der gefährlichen Route, die von San Pedro Sula bis zur US-mexikanischen Grenze mehr als 4.500 Kilometer beträgt.
Karawanen dieser Größe sind zwar eine relativ neue Form des Migrierens. Die Bewegung gen Norden jedoch ist seit Jahrzehnten Normalität. Laut einer Schätzung des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) aus dem Jahr 2017 passieren jährlich 500.000 Menschen irregulär die mexikanische Südgrenze. Die meisten von ihnen stammen aus Guatemala, Honduras und El Salvador und wollen in die USA, wo bereits fast drei Millionen ihrer Landsleute mit einem legalen Status leben. Hinzu kommen laut Schätzungen mehr als 1,5 Millionen undokumentierte Migrant*innen aus den drei Ländern.
Waren die Menschen in den 1980er Jahren vor allem vor Bürgerkriegen geflohen, verlassen sie ihre Länder heute aufgrund von Gewalt, Kriminalität und wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit. Wenngleich die politische Gewalt mit Ausnahme von Honduras deutlich zurückgegangen ist, gehören die Mordraten in den drei Ländern des „Triangúlo Norte“ seit Jahren zu den weltweit höchsten. Dafür verantwortlich gemacht werden vor allem die als maras bekannten Jugendbanden, die in den 1980er Jahren in den migrantisch geprägten Stadtvierteln von Los Angeles und anderen US-amerikanischen Städten entstanden waren. Durch Abschiebungen vieler ihrer Mitglieder fassten sie in den 1990ern rasch in ihren Heimatländern Fuß und kontrollieren heute ganze Stadtviertel und ländliche Regionen. Der weitaus größte Teil der Morde betrifft junge Männer, doch zählen Guatemala, Honduras und El Salvador ebenso zu den Ländern mit den höchsten Raten an Femiziden weltweit.
Gegen Oligarchie und US-Kapital
Doch gibt es auch wirtschaftliche Fluchtgründe, deren Ursachen weit zurückreichen. Bereits in der Kolonialzeit hatte sich in der Region ein Agrarexportmodell durchgesetzt, das die Länder Zentralamerikas auf die Ausfuhr weniger Rohstoffe festlegte. Waren es vor der Unabhängigkeit Produkte wie Kakao oder der Farbstoff Indigo, folgten später vor allem Kaffee und Bananen.
Im Gegensatz zum Kaffeeanbau mischten bei der Produktion von Bananen in erster Linie US-amerikanische Konzerne wie die United Fruit Company mit, die in Honduras und Guatemala in der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts als „Staat im Staat“ galt. Die US-Regierung sicherte die Interessen des heimischen Kapitals im 20. Jahrhundert durch politischen Druck und häufig auch direkte Interventionen ab. Ab den 1920er Jahren bildeten sich soziale Bewegungen, Gewerkschaften und Parteien, die soziale, wirtschaftliche und politische Veränderungen auf die Agenda setzten. Anfang der 1930er Jahre übernahm in fast allen zentralamerikanischen Ländern das Militär die Macht und ging mit großer Gewalt gegen jeglichen Protest vor.
In Nicaragua ermordete die von den USA aufgebaute Nationalgarde 1934 Augusto César Sandino, der in den 1920er Jahren einen Guerilla-Krieg gegen die Besatzung seines Landes durch die USA geführt hatte. Die anschließend mit US-Unterstützung etablierte Familiendiktatur der Somozas hielt bis 1979. Auch in Honduras und Guatemala regierten bis in die 1940er Jahre hinein Diktatoren. Den zehnjährigen politischen Frühling, der in Guatemala 1944 einsetzte, beendete ein von den USA unterstützter Putsch gegen den Präsidenten Jacobo Árbenz 1954. Zuvor hatte dieser brachliegendes Land der United Fruit Company verteilt und damit aus Sicht der Eliten und der US-Regierung ein Tabu gebrochen. Ebenfalls 1954 leitete ein zweimonatiger Generalstreik auf den Bananenplantagen in Honduras eine Phase verstärkter Kämpfe um Land ein.
Im gleichen Zeitraum begann sich die Sonderrolle Costa Rica zu festigen, die das Land bis heute für sich beansprucht. Nach einem kurzen Bürgerkrieg 1948 wurde das Militär abgeschafft. In den folgenden Jahrzehnten zeichnete sich Costa Rica durch den Aufbau eines Sozialstaates und eine für die Region ungewöhnliche politische Stabilität aus. In den übrigen Ländern hielten sich die Militärs mit Unterbrechungen bis in die 1980er Jahre an der Macht.
Inspiriert durch die kubanische Revolution hatten sich schon in den 1960ern erste Guerillabewegungen gebildet. Doch erst Mitte der 1970er erstarkten diese in Nicaragua, El Salvador und Guatemala und genossen in der Bevölkerung wachsenden Rückhalt. In Nicaragua stürzten Sandinos Erben der FSLN 1979 den herrschenden Somoza-Clan. In El Salvador eskalierte der Bürgerkrieg 1980 mit der Ermordung des Erzbischofs Oscar Romero, der sich mit dem ärmeren Teil der Bevölkerung solidarisch erklärt hatte. In Guatemala lief der Krieg bereits seit 1960.
US-Präsident Ronald Reagan unterstützte in den 1980er Jahren das Militär El Salvadors und Guatemalas sowie eine Contra-Armee, die von Honduras und Costa Rica aus gegen die regierenden Sandinist*innen vorging. Die Kriege zogen sich bis in die 1990er Jahre hinein. In Nicaragua endete das Jahrzehnt der Revolution mit der Abwahl der FSLN, die 1990 überraschend die Präsidentschaftswahl gegen ein bürgerliches und stark von den USA beeinflusstes Oppositionsbündnis verlor. In El Salvador unterzeichneten Guerillabewegung und Regierung 1992, in Guatemala 1996 Friedensverträge.
Die Ungleichheit überdauerte die Kriege
Die strukturellen Ursachen der Konflikte wie die enorme Kluft zwischen Arm und Reich und die höchst ungleiche Landverteilung blieben trotz schöner Worte in den Friedensverträgen bestehen. Durch die Intensivierung der bereits in den 1980er Jahren begonnen neoliberalen Umstrukturierungen verschärften sie sich sogar noch.
Doch auch wenn die traditionellen Eliten ihre Macht durch Investitionen in den Banken- und Finanzsektor und die Gründung moderner Parteien in das 21. Jahrhundert hinein retten konnten, kam in den vergangenen Jahren erneut Bewegung in die politische Landschaft. In allen Ländern der Region kämpfen alte und neue soziale Bewegungen gegen die neoliberale Politik und für soziale Rechte.
Das Spektrum ist divers und reicht von kleinbäuerlichen Organisationen über feministische und LGBTI-Gruppen bis hin zu Anti-Bergbau- und indigenen Bewegungen. In vielen Fällen gehen die Regierungen in der Region repressiv gegen Proteste vor, derzeit vor allem in Honduras, Guatemala und Nicaragua. Zumindest zwischenzeitlich kamen in mehreren Ländern auch Politiker*innen an die Macht, die nicht den traditionellen Eliten entstammten.
So regierte etwa in Guatemala zwischen 2008 und 2012 der Sozialdemokrat Álvaro Colom, die Linke ist dort allerdings schwach und zersplittert. In Honduras putschte die traditionelle Oligarchie mit Unterstützung der US-Regierung 2009 gegen den ursprünglich aus der Liberalen Partei stammenden Präsidenten Manuel Zelaya, der einen sozialen Reformprozess in Gang gesetzt hatte. Seitdem dominiert zwar wieder die klassische, autoritäre Rechte, dennoch sind die Bewegungen heute sichtbarer als vor dem Putsch.
In Nicaragua regiert seit 2007 erneut der einstige FSLN-Comandante Daniel Ortega, der in den 1980er Jahren bereits Präsident war. Hatte er schon seit den 1990er Jahren viele einstige Mitstreiter*innen durch Pakte mit der liberalen Opposition und der Katholischen Kirche verprellt, führt er das Land heute gemeinsam mit seiner Ehefrau und Vizepräsidentin Rosario Murillo höchst autoritär. Der einstige Sandinismus dient dabei allenfalls noch als folkloristische Hülle und ideologische Rechtfertigung.
Interessanter und vielschichtiger verlief die politische Entwicklung in El Salvador. Nach 20 Regierungsjahren der ultrarechten Republikanisch-Nationalistischen Allianz (ARENA) gewann die einstige Guerilla FMLN 2009 mit dem früheren Fernsehjournalisten Mauricio Funes als Kandidat erstmals die Präsidentschaftswahl. Fünf Jahre später wiederholte sie ihren Triumph mit Salvador Sánchez Cerén, einem historischen Guerilla-Comandante.
Die FMLN setzte einige soziale Verbesserungen für die arme Bevölkerung durch und förderte mit ihrer Agrarpolitik die landwirtschaftliche Produktion. Zuletzt verlor sie aber deutlich an Rückhalt insbesondere bei der städtischen Mittelschicht. Viel Zustimmung kosteten sie die Korruptions- und Bereicherungsvorwürfe gegen Ex-Präsident Mauricio Funes und einige andere führende Parteimitglieder.
Bei der Präsidentschaftswahl im Februar dieses Jahres wandten sich die Wähler*innen enttäuscht ab. Künftig wird mit dem jungen Unternehmer Nayib Bukele, der einst für die FMLN die Hauptstadt regierte und nun auf dem Ticket einer rechten Partei antrat, ein Präsident regieren, der über kein klar umrissenes Programm verfügt. Furore machte er vor allem durch seinen Social-Media-Wahlkampf. Mit diesem Erfolgsrezept liegt der selbst proklamierte Anti-Politiker im Trend der Zeit. Als wichtiges Gegengewicht bleiben da vor allem soziale Bewegungen und eine verstärkte Organisierung von unten. In El Salvador wie in den anderen zentralamerikanischen Ländern.
Zum Autor
Tobias Lambert ist Redakteur des Südlink. Die Entwicklungen in Zentralamerika verfolgt er seit einem längeren Aufenthalt in El Salvador 2005/2006.
Tobias Lambert ist Redakteur des Südlink. Die Entwicklungen in Zentralamerika verfolgt er seit einem längeren Aufenthalt in El Salvador 2005/2006.
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