Auf den Weg bringen
Über die Art und Weise, wie geraubte Kulturgüter an Afrika zurückgegeben werden sollen, muss breit debattiert werden
Die Geschichte des europäischen Kolonialismus wird heute viel kritischer diskutiert als noch vor einigen Jahren. Das liegt auch daran, dass sich über soziale Medien mehr Menschen in Debatten einbringen. Europäische Museen können sich dem Ruf nach einer Restitution von in der Kolonialzeit geraubten Kulturgütern nicht mehr verschließen. Es geht aber nicht nur um Rückgabe, sondern auch um andere Fragen der Aufarbeitung des kolonialen Unrechts. Dafür müssen noch wichtige Punkte geklärt werden.
Die meisten jungen Menschen in Europa konnten mit Kolonialismus als Thema lange Zeit wenig anfangen. In einigen Teilen des Kontinents, insbesondere in Deutschland, galt er zwar als Teil einer dunklen Geschichte, hielt sich in den Herzen älterer Generationen jedoch als positives Erbe. Einige erinnern die Kolonialzeit als die Verbreitung von Mission, Handelsgütern und Zivilisation durch formale Bildung und weiteren damit verbundenen sozialen Wohltaten. Die militärische Eroberung und starke politische Kontrolle der Kolonien wurden hingegen häufig ausgeblendet. Es verwundert nicht, dass die Menschen in Afrika zentrale koloniale Ereignisse anders erzählen als die „Kolonialherren“.
Doch im 21. Jahrhundert hat sich durch die Globalisierung der Informationsaustausch verändert. Dies wirkt sich auch darauf aus, wie historische Ereignisse eingeordnet werden. Soziale Medien wie Facebook, Instagram und Twitter ermöglichen es den Menschen, ihre eigenen Geschichten zu teilen. Im Vergleich zu wissenschaftlichen oder journalistischen Arbeiten gehen einige davon viral. Über diese Kanäle ist die Mehrheit der jungen Menschen weltweit miteinander verbunden und teilt Neuigkeiten über Ereignisse, die irgendwo auf der Welt stattfinden.
Gesellschaftliche Minderheiten, Aktivist*innen und politische Dissident*innen machen von sozialen Medien Gebrauch, da diese nicht diskriminieren, sondern allen eine Stimme bieten. So können unter dem Hashtag „decolonization“ Aktivist*innen und Studierende über Kolonialismus, Diskriminierung oder die Beseitigung kolonialer Spuren im öffentlichen Raum diskutieren. Die Bewegung gibt es vor allem in Südafrika und einigen europäischen Ländern. In Deutschland setzen sich Berlin Postkolonial und andere für die Änderung von Straßennamen mit Kolonialbezug ein.
Auch Museen ändern ihre Ansichten
Vor allem junge Menschen lernen über den Hashtag die andere Seite des Kolonialismus kennen, die von dem abweicht, was sie bisher in Schulen oder Büchern erfahren haben. In der Folge zeigen sich auch Museen und Regierungsinstitutionen offener für Kritik und arbeiten daran, ihre althergebrachten Ansätze zu überarbeiten und zu überwinden. Die Diskussionen über Kolonialismus haben sich verschoben, auch in afrikanischen und europäischen Parlamenten.
Deutlich an Popularität gewann das Thema Restitution, als der französische Präsident Emmanuel Macron Ende 2017 die Rückgabe afrikanischer Werke, die in (hauptsächlich staatlich finanzierten) Museen aufbewahrt werden, zum offiziellen Ziel erhob. Afrikanische Museen nahmen die Aussage positiv auf. Einige von ihnen haben sich auf die Rückgabe symbolischer Objekte aus Palästen, Ritualobjekten sowie menschlichen Überresten seit Jahren vorbereitet und sie teilweise aktiv eingefordert.
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Der Begriff der Restitution bezieht sich dabei nicht nur auf die Rückgabe von Gegenständen an die rechtmäßigen Eigentümer*innen oder die Wiederherstellung eines früheren Status quo, sondern beinhaltet auch eine Debatte um Entschädigungen, die sich in einem neokolonialen Umfeld vollzieht. Bevor mit der konkreten Restitution begonnen wird, sollten daher eine Reihe von Fragen geklärt werden.
1. Welche Art von Rückgabe ist erforderlich? Bei Debatten über die Restitution geraubter Güter geht es auch um das Ausmaß der Rückgaben. Neben Gegenständen oder „menschlichen Überresten“ gibt es noch andere Aspekte wie Entschädigung oder Wiedergutmachung. Natürlich werden nicht alle Kolonialverbrechen zu Reparationen führen, aber es gibt bedeutende Kapitel, die zu brutal waren, um beendet zu werden, ohne dass jemand dafür einsteht und eine gegenseitige Übereinkunft geschlossen wird.
Dies trifft zum Beispiel auf die Opfer des Genozids an den Nama und Herero sowie des Maji-Maji-Aufstands zu, bei denen die deutschen Kolonialherrscher Taktiken der verbrannten Erde anwendeten. Dabei starben zusätzlich zu den getöteten Aufständischen zahlreiche Menschen (hauptsächlich Kinder und Frauen) an Hunger und Durst. Solche schmerzhaften Verbrechen sollten offiziell als Teil der Menschheitsgeschichte anerkannt werden und dazu dienen, gute Hoffnung und Beziehungen zu den betroffenen Gemeinschaften wiederherzustellen. Auf die Anerkennung des Unrechts könnte die Rückgabe geplünderter Gegenstände folgen.
2. In welchem Zustand befinden sich die restituierten Gegenstände? Seit viele tausende afrikanische Kultursammlungen zwangsweise nach Europa verschifft wurden und in den dortigen Museen ausgestellt oder aufbewahrt werden, sind mehr als 100 Jahre vergangen. Das genaue Inventar der Sammlungen ist den meisten Museen jedoch noch nicht bekannt. Die besten Stücke befinden sich in den Ausstellungen, andere in Kellern oder Lagerhäusern, wo sie darauf warten, konserviert oder vorübergehend ausgestellt zu werden. Die Restitutionsdebatte wird an Bedeutung gewinnen, wenn auch darüber diskutiert wird, in welcher Anzahl geraubte Kolonialsammlungen zur Rückgabe vorhanden sind und in welchem Zustand sich diese befinden.
3. Wer entscheidet über die Liste der Rückgabe-Objekte? Stellen wir uns vor, das Inventar der Sammlungen und ihr Status sind bekannt und werden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dann folgt die Frage, was aus dieser Liste restituiert werden soll. Gibt es eine demokratische Vereinbarung darüber, dass die kolonialisierten Länder dies entscheiden dürfen? Oder werden immer noch europäische Museen und Geldgeber Einfluss darauf nehmen oder gar bestimmen, was und wie restituiert werden sollte? Wenn dies in der Debatte nicht von vornherein thematisiert wird, könnte der Neokolonialismus den Prozess der Entkolonialisierung und Restitution überschatten.
Ein rechtlicher Rahmen ist notwendig
4. Wie wird die Rückgabe umgesetzt? Um die Restitution ernsthaft durchzuführen, braucht es einen rechtlichen Rahmen, der für beide Seiten gilt. Zweifellos gibt es Bemühungen, Richtlinien für Museen in Deutschland zu erstellen, die den Umgang mit kolonialen Objekten erleichtern könnten. Doch können solche Richtlinien durch rechtliche und politische Rahmenbedingungen in der Umsetzung gestärkt werden. Und inwieweit können diese den kolonisierten Institutionen Raum geben, um mit ihrem Gegenüber in Europa zu diskutieren, bevor eine Entscheidung nach altbekanntem Muster fällt?
5. Wie können Gemeinschaften aus kolonialisierten Staaten an der Entscheidungsfindung über jene Gegenstände teilhaben, die von ihren jeweiligen ethnischen Gruppen stammen? Bislang konzentriert sich die Restitutionsdebatte nur auf Expert*innen und Personen mit gewissem Einfluss innerhalb und außerhalb der jeweiligen Regierungen. Die wichtige Gruppe der lokalen Gemeinschaften wird jedoch weder in Afrika noch in Europa mit einbezogen. Diese Gemeinschaften sind aber gute Berater*innen und können eine kritische Stimme in der Diskussion um Restitution sein.
Einige Sammlungen beinhalten Objekte, die für bestimmte ethnische Gruppen kulturell sensibel sind und nicht unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten behandelt werden können. Communities mit einzubeziehen ist nicht mehr kostspielig, da Informationen heute auf einfache Art und Weise geteilt werden können. Egal wo, alle Menschen können an der Restitutionsdebatte teilhaben und ihre Meinung äußern. Weder die Aneignung der Objekte unter kolonialen Bedingungen noch die militärische Eroberung und Plünderung von Ressourcen werden heute noch akzeptiert. Welchen rechtlichen Status sollen also Objekte haben, die nach der Restitution weiterhin in europäischen Museen ausgestellt oder aufbewahrt werden? Denn offensichtlich werden die Museen nicht alle kulturellen Objekte zurückgeben. Werden sie in Leihobjekte umgewandelt, die den Ursprungsländern gehören? Teilen europäische Museen zukünftig die Vorteile und Einnahmen, die sich aus der Ausstellung solcher Objekte ergeben? Es gibt viele offene Fragen. Die aktuelle Debatte wird hoffentlich Expert*innen, Studierenden und Communities auf allen Ebenen als Forum dienen, um einen Weg in Richtung Rückgabe zu finden.
Aus dem Englischen von Tobias Lambert.
Zur Autorin
Flower Manase ist Kuratorin des National Museum of Tansania.
Flower Manase ist Kuratorin des National Museum of Tansania.