Südlink-Magazin

Eine Welt braucht Weltoffenheit

Mit einer Kampagne hat das Eine Welt-Netzwerk Thüringen auf den erstarkenden Rechtsextremismus im Land reagiert. 

von Alina Böhm, Desirée Roosingh und Franziska Weiland
Veröffentlicht 27. AUGUST 2024

Rechtsextremismus ist eine Gefahr für die Demokratie und die Menschenrechte. Und eine Ideologie, die auf Rassismus und Ausgrenzung setzt, statt auf ein solidarisches Miteinander der Menschen in Nord und Süd. In Thüringen hat die Eine-Welt-Bewegung auf das Erstarken des Rechtsextremismus im Wahljahr 2024 mit einer Kampagne für Weltoffenheit reagiert.  

Landtagswahl, AfD, Höcke. Mit großer Sorge blicken die Akteure der Eine-Welt-Arbeit auf die Landtagswahlen in Thüringen am 1. September. Wie können entwicklungspolitisch Interessierte angesichts eines erstarkenden Rechtsextremismus Haltung für die freiheitlich demokratische Grundordnung zeigen und dabei die globale Perspektive nicht vernachlässigen? Wie Räume für Dialog schaffen? Aus diesen Fragen entstand die Kampagne „Von Thüringen bis Taiwan. 2024 wählt die Welt“. 

Um die Kampagne zu verorten, lohnt sich ein Blick in die Geschichte. Thüringen steht seit der Wiedervereinigung vor großen Herausforderungen. Der starke Bevölkerungsrückgang – eine Folge des Geburtenrückgangs in den 1980er und 1990er Jahren sowie des massiven Wegzugs junger Menschen nach 1990 – hat Thüringen schwer getroffen. Besonders die ländlichen Regionen litten bis in die 2000er Jahre unter dem Verlust gut ausgebildeter junger Menschen, insbesondere Frauen.  

Diese Entwicklung führte nicht nur zum aktuellen Fachkräftemangel, sondern auch zu einem Engagementmangel – ein Begriff, der die geringe ehrenamtliche Beteiligung und die schwachen Vereinsstrukturen in der Region beschreibt. Was auf den ersten Blick als demografisches Problem erscheint, hat weitreichende Konsequenzen für das gesellschaftliche Gefüge, die demokratischen Strukturen und auch auf das entwicklungspolitische Engagement in Thüringen. 

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Ohne eine aktive Zivilgesellschaft fehlen Räume, in denen politische Selbstwirksamkeit erfahren und demokratische Prozesse mitgestaltet werden können. Solche Defizite verstärken sich durch das Fehlen positiver Nachwenderfahrungen. Viele Thüringer*innen erlebten die Nachwendezeit als Phase negativer Transformation, in der alte Strukturen kollabierten und die bisherigen Lebensleistungen entwertet wurden. Diese Erfahrungen prägen bis heute das kollektive Bewusstsein, aus dem auch das mangelnde Vertrauen in die neuen politischen Strukturen folgt. Viele fühlen sich von politischen Angeboten nicht mehr angesprochen oder werden gar nicht mehr erreicht, weder analog noch digital.  

Die Gefühle der Entfremdung von parlamentarischer Demokratie und des Misstrauens in „die da oben“ haben erhebliche Auswirkungen auf die politische Landschaft in Thüringen, wie die Wahlen im vergangenen Frühjahr gezeigt haben. Bei den Kommunal- und Europawahlen schlug sich der Frust vieler Thüringer*innen in einer zunehmenden Unterstützung für populistische und rechtsextreme Parteien, aber auch im Fernbleiben von der Wahlurne nieder. Dies führt zu einer realen, unmittelbaren Bedrohung unserer demokratischen, pluralen und diversen Gesellschaft.  

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Von Thüringen bis Taiwan 

Als Eine Welt-Landesnetzwerk wollten wir mit einer entwicklungspolitischen Perspektive auf diese Herausforderungen blicken, die Entwicklungen in einen globalen Kontext stellen und die globale Vernetzung und die Verantwortung Thüringens in der Einen Welt in den Fokus rücken. Ein wesentlicher Eckpfeiler bei der Konzeption der Kampagne „Thüringen bis Taiwan – 2024 wählt die Welt“ war die hohe Anzahl der Staaten, in denen im Jahr 2024 gewählt werden würde. Befürchtungen eines weltweit erstarkenden Rechtsextremismus und Autoritarismus schufen das verbindende Element der Kampagne, mit der wir Informationen, Bildungsangebote und reflexive Denkanstöße aus entwicklungspolitischer Perspektive in die öffentlichen Diskurse einbringen wollten.  

Unsere Kampagne richtet sich primär an entwicklungspolitische Akteur*innen, Netzwerkpartner*innen und andere Interessierte, die rechtsextremistischen Tendenzen mit Weltoffenheit begegnen möchten. Gemeinsame Referenzpunkte  sind ein ähnlicher Wertehorizont und das Engagement für Weltoffenheit.  

Weltoffenheit zählt aus unserer Sicht zu den Schlüsselelementen der Eine-Welt-Arbeit. Viele können sich mit dem Konzept einer Weltoffenheit identifizieren – ohne jedoch das gleiche zu meinen. Um den Begriff mit einer entwicklungspolitischen Perspektive zu schärfen, wollten wir unter dem Claim „Eine Welt braucht Weltoffenheit“ unsere Vision in drei Facetten auffächern. 

Erstens möchten wir über die politische Situation in ausgewählten Staaten und die weltweite Bedeutung von Wahlen aufklären (globale Ebene). Zweitens wollen wir Menschen motivieren und Handlungsoptionen für Weltoffenheit in Thüringen aufzeigen (lokale Ebene). Drittens geht es uns als entwicklungspolitische Akteur*innen darum, gute Argumente für das Engagement für Weltoffenheit und gegen (globale) rechtspopulistische und rechtsextreme Dynamiken zu kennen (narrative Ebene).  

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Campaigning – online und offline 

Zunächst war die Kampagne als reine Online-Kampagne geplant. Um in Dialog zu treten und mit Menschen ins Gespräch zu kommen, setzten wir bald interaktive Formate um, die die oben genannten Ebenen thematisieren:  

Globale Ebene: Im Jahr 2024 darf fast die Hälfte der Weltbevölkerung wählen. Unser Augenmerk liegt nicht nur auf der politischen Situation und der Bedeutung der Wahlen in den ausgewählten Ländern. Auch die Frage nach der Wahrnehmung und den Gefühlen der Menschen vor Ort spielt eine Rolle. Um mehr darüber zu erfahren, arbeiten wir eng mit den internationalen Partner*innen des Landesnetzwerks zusammen. In unseren Social-Media-Posts teilen sie ihre persönliche Perspektive auf die Wahlergebnisse und ihre Ängste, Hoffnungen und Wünsche im Zusammenhang mit den Wahlen.  

Mit den „Democracy Dialogues“ haben wir jeweils ein Land in den Fokus genommen. Zu den Wahlen in Mexiko diskutierte die mexikanische Regisseurin Angélica Cruz Aguilar mit uns darüber, was die Wahl einer Frau in das Präsidentenamt für ihr Land bedeutet, in dem Gewalt gegen Frauen ein großes Problem ist.  

Lokale Perspektive: Mit der lokalen Perspektive wollen wir bereits bestehendes Engagement in Thüringen und insbesondere im ländlichen Raum sichtbar machen und unterstützen. Um Menschen zum Mitmachen zu ermutigen, stellen wir innovative Projekte und Bündnisse, wie Weltoffenes Thüringen oder #nordhausenzusammen, auf unseren Social-Media-Kanälen vor und kommunizieren Termine. Es geht auch um die Frage, was die Wahlergebnisse der Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen für die eigene Arbeit und für Weltoffenheit in Thüringen bedeuten.  

Narrative Perspektive: Diese dritte Perspektive der Kampagne zielt darauf, uns als entwicklungspolitische Akteur*innen klar für Weltoffenheit zu positionieren und Haltung zu zeigen. Wir wollen verdeutlichen, was Weltoffenheit aus entwicklungspolitischer Perspektive bedeuten kann und wie wichtig sie in unserem alltäglichen Engagement für die Eine Welt ist. Im Kern geht es darum, Akteur*innen darin unterstützen, eigene Werte und Visionen zu kommunizieren und angesichts rechtspopulistischer und rechtsextremer Dynamiken sprechfähig zu sein und zu bleiben. Dafür veranstalten wir regelmäßig Wortwerkstätten für Weltoffenheit. Bei diesem Workshopformat erarbeiten die Teilnehmenden Argumente, um rechtsextremen und rechtspopulistischen Äußerungen im Alltag zu begegnen. Die Ergebnisse veröffentlichen wir laufend als Social-Media-Posts.  

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Eine Kampagne, die den Mut und das Engagement stärkt  

Es galt, in der Kampagne eine Sprache zu finden, die Komplexität verringert, jedoch nicht in Populismus abgleitet; also die richtigen Worte zu finden und Handlungsoptionen zu diskutieren, ohne (post-)kolonialen Paternalismus und ohne Moralisierung. Kreativität, regelmäßige Treffen und häufiger Austausch im Kampagnenteam erleichtern die Suche nach Formaten und bieten einen großen Mehrwert für das Engagement für Weltoffenheit.  

Die Stimmungen und Emotionen aus aller Welt einzufangen und dabei auch Menschen zu Wort kommen zu lassen, die sonst vielleicht nicht gehört würden, erwies sich bisher angesichts der politischen Ausrichtung der Kampagne als schwieriger als gedacht. Die vielleicht größte Herausforderung bestand in der Frage, ob und inwieweit der erstarkende Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Thüringen ein Thema für die entwicklungspolitische Inlandsarbeit sein kann und sein sollte. Neben Unsicherheiten in Bezug auf eine zu starke Politisierung ging es auch darum, Zusammenhänge mit den unterschiedlichen Arbeitsbereichen zu ermitteln. Gerade angesichts der aktuellen politischen Lage sollten wir als Akteure der Eine-Welt-Arbeit klar Haltung zeigen.  

Selbstkritisch möchten wir festhalten, dass es uns in der Arbeit an und mit der Kampagne schwergefallen ist, unseren lokalen Referenzrahmen zu verlassen, also die globale Perspektive und die Erfahrungen unserer Partner*innen mit den Entwicklungen in Thüringen zu verknüpfen. Angesichts der persönlichen Sorgen und Ängste vor der Landtagswahl am 1. September ist das verständlich, doch es verdeutlicht auch die Herausforderung einer konsequenten Weltoffenheit. Es ist eben nicht nur ein Bekenntnis für ausländische Fachkräfte oder für kulturelle Diversität. Weltoffenheit ist für uns Haltung und Auftrag zugleich. Eine Haltung, die die Universalität der Menschenrechte zum Maßstab politischen Handelns macht, und ein Auftrag, global nachhaltige Entwicklung in Thüringen zu gestalten.  

Dieser Artikel erscheint im Südlink 209 und ist nach Beiträgen im Südlink 207 und Südlink 208 Teil 3 unserer Serie zu den zivilgesellschaftlichen Protesten gegen den erstarkenden Rechtsextremismus.  

Alina Böhm und Franziska Weiland arbeiten beim Eine Welt-Netzwerk Thüringen und Desirée Roosingh bei schrankenlos. Die beiden Vereine haben die Kampagne „Von Thüringen bis Taiwan: 2024 wählt die Welt“ ins Leben gerufen. 

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