Vergiftungsrisiko mit zweierlei Maß
Noch immer werden viele hochgefährliche Pestizide, die in der EU verboten sind, in die Kakaoanbaugebiete Westafrikas exportiert.
Der Export von Pestiziden aus der EU richtet in Afrika, Südamerika und Asien großen Schaden an und offenbart skandalöse Doppelstandards, wenn es um die Bewertung des Gesundheits- und Umweltschutzes von Menschen im globalen Süden geht. Dies zeigen zum Beispiel die gravierenden Auswirkungen hochgefährlicher Pestizide im westafrikanischen Kakaoanbau. INKOTA macht sich deshalb für ein Ende dieser Praxis stark.
Weltweit leiden 385 Millionen Menschen an Pestizidvergiftungen, 11.000 sterben jedes Jahr daran. Hochgefährliche Pestizide haben laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ein besonders großes Gefährdungspotenzial für Mensch und Umwelt. Menschen, die regelmäßig hochgefährlichen Pestiziden ausgesetzt sind, tragen ein höheres Risiko für Gesundheitsprobleme wie Krebs, neurologische Störungen und Fortpflanzungsprobleme. Erfasst werden diese chronischen Krankheiten allerdings nicht und selten werden sie mit Pestiziden in Zusammenhang gebracht.
Auch für die Umwelt und die biologische Vielfalt kann der Einsatz hochgefährlicher Pestizide verheerende Folgen haben. Aus diesem Grund sind viele ihrer Wirkstoffe in der EU nicht mehr zugelassen. Nicht so im globalen Süden, wo häufig schwächere Regulierungen und Standards herrschen. Hersteller versichern zwar, dass ihre Produkte sicher seien – sofern sie sachgemäß angewendet werden und Schutzkleidung getragen wird. Doch das Beispiel des westafrikanischen Kakaosektors zeigt, dass die Aussagen der Pestizidhersteller von der Realität weit entfernt sind.
Gefährliches Gift im Kakaoanbau
Nach Angaben einer Studie aus dem Jahr 2020 setzen 77 Prozent der Kakaobauernfamilien in Côte d’Ivoire und Ghana Pestizide ein – ein Anstieg von über 20 Prozent zwischen 2014 und 2019. Die große Mehrheit der zwei Millionen Kakaobäuerinnen und Kakaobauern in den beiden Hauptanbauländern des Kakaos lebt in struktureller Armut.
Dadurch sind sie besonders anfällig für die schädlichen Auswirkungen hochgefährlicher Pestizide. Sie leben oft in ländlichen Gebieten mit schlechter Infrastruktur und dementsprechend schwierigem Zugang zu Bildung oder Gesundheitsversorgung. Schutzkleidung ist schwer erhältlich, zu teuer oder kann wegen der hohen Temperaturen kaum getragen werden. Mangelnde Schulungen zum Umgang mit Pestiziden und die fehlende Übersetzung der Produktaufschriften und Nutzungsanweisungen führen dazu, dass die Kakaobauern und -bäuerinnen die Pestizide nicht sachgerecht handhaben können und auch nicht genehmigte Wirkstoffe verwenden. Der ghanaische INKOTA-Partner Conservation Alliance führte 2020 in den Regionen Western North und Central eine Studie durch, die zeigte, dass nur 30 Prozent der befragten Bauern und Bäuerinnen korrekte Schutzmaßnahmen beim Einsatz von Pestiziden anwenden.
Besonders anfällig für die unterschiedlichen Gefahren der Pestizidanwendung sind Frauen. Zum einen werden sie seltener zur korrekten Pestizidanwendung geschult, zum anderen haben viele von ihnen noch kürzer die Schule besucht und sind daher häufig nicht in der Lage, die Etiketten mit Anwendungshinweisen zu lesen. Aber nicht nur Erwachsene sind betroffen: Heute arbeiten rund 1,5 Millionen Kinder auf Kakaoplantagen in Westafrika. Weil sich viele Familien, die Kakao anbauen, aufgrund ihres niedrigen Einkommens keine bezahlten Erntehelfer*innen leisten können, müssen die Kinder mitarbeiten. Insgesamt hat sich der Anteil der Kinder, die Pestiziden im Kakaoanbau ausgesetzt sind, zwischen 2013 und 2018 nahezu verdreifacht.
Hochgefährliche Pestizide schädigen außerdem Böden, vergiften Gewässer und zerstören die biologische Vielfalt. Damit stellen sie eine existenzielle Gefahr für die gesamten Ökosysteme dar, in denen Kakao angebaut wird, weil beispielsweise Bestäubung, Nährstoffversorgung und natürliche Schädlingsbekämpfung gestört werden. Zunehmender Schädlingsbefall und Insektensterben sind die Folge, was sich wiederum negativ auf die Kakaoernteerträge auswirkt. Im Jahr 2018 haben Untersuchungen des Pesticide Action Network (PAN) in Ghana etwa weitverbreitete Verschmutzungen von Trinkwasserquellen und Flüssen durch Abwässer von Kakaoplantagen festgestellt.
Genuss ohne Gift!
Machen Sie mit! Fordern Sie Milka, Lindt & Co. auf, den Einsatz von in der EU verbotenen Pestiziden im Kakaoanbau zu stoppen.
Jetzt Petition unterzeichnen!Vor diesem Hintergrund ist es umso besorgniserregender, dass im Kakaoanbau viele Pestizide eingesetzt werden, die in der EU nicht (mehr) genehmigt sind. Doch in den beiden westafrikanischen Nachbarländern sind die meisten Wirkstoffe weiterhin zugelassen. So kommt das Bienengift (Neonikotinoid) Imidacloprid im Kakaoanbau in Westafrika noch immer zum Einsatz. Oder das Insektizid Chlorpyrifos, das in der EU bereits 2020 verboten wurde – unter anderem aus Sorge vor möglichen Nervenschädigungen und Entwicklungsstörungen bei Kindern.
Globaler Süden als lukrativer Absatzmarkt
Da ihre Wirkstoffe in der EU keine Zulassung mehr bekommen oder bestehende entzogen werden, gewinnen die Länder des globalen Südens für Pestizidhersteller als Absatzmarkt an Bedeutung. Raymond Owusu-Achiaw von der ghanaischen NGO Conservation Alliance kritisiert diese Entwicklung: „Ghana importiert nach wie vor Neonikotinoide und andere hochgefährliche Pestizide von den großen europäischen Pestizidherstellern, die in Europa umstritten oder verboten sind. Sie verursachen in den ghanaischen Kakaoanbaugebieten enorme Folgeschäden wie Insektensterben und Pestizidvergiftungen.“ In den Jahren 2018/2019 haben EU-Staaten und das Vereinigte Königreich den Export von insgesamt 140.908 Tonnen an Pestiziden bewilligt, die in Europa wegen inakzeptabler Gesundheits- und Umweltrisiken verboten sind. Gerade auch deutsche Pestizidhersteller beteiligen sich rege an dem Geschäft: Eine aktuelle Studie aus Kenia zeigt, dass im Jahr 2020 ein Drittel der von Bayer in Kenia verkauften Pestizidmengen in der EU verboten ist. Die Verkaufsschlager sind Beta-Cyfluthrin, das so giftig ist, dass die WHO es in die zweithöchste Gefahrenklasse (WHO Ib) aufgenommen hat, und das Bienengift Imidacloprid.
Deutsche Exportinteressen dürfen nicht länger die Gesundheit der Menschen im globalen Süden gefährden. Als erstes sollte die Bundesregierung daher ein striktes und umfassendes Exportverbot aller in Europa verbotenen hochgefährlichen Pestizide erlassen. Dafür setzte sich INKOTA mit dem Appell „Giftexporte stoppen!“ ein, den mehr als 177.000 Menschen unterschrieben haben und der im Sommer 2021 an das Landwirtschaftsministerium überreicht wurde. Zudem sollte Deutschland auf europäischer und globaler Ebene die Einführung ähnlicher Verbote fördern.
Die EU könnte eine führende Rolle übernehmen, indem sie ein einheitliches Verbot innerhalb der EU vorantreibt und bilaterale und multilaterale Vereinbarungen zur Begrenzung des Exports gefährlicher Pestizide mit anderen Ländern abschließt. Die internationale Zusammenarbeit mit Unterstützung von FAO und WHO sollte gestärkt werden, um gemeinsame Pestizidstandards zu entwickeln und den Doppelstandard bei Pestizidexporten anzugehen.
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Darüber hinaus nimmt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz Unternehmen klar in die Pflicht. Die Menschenrechte auf Gesundheit sowie auf einen sicheren Arbeitsplatz werden durch den Einsatz hochgefährlicher Pestizide gefährdet. In den Nachhaltigkeitsberichten der großen Kakao- und Schokoladenunternehmen finden sich allerdings bislang keine Aussagen darüber, wie den gesundheitlich und ökologisch negativen Auswirkungen des Pestizideinsatzes in ihren Lieferketten begegnet werden soll.
Eine systematische Dokumentation, welche Pestizide in der eigenen Lieferkette zum Einsatz kommen, hat bislang kein Unternehmen veröffentlicht. Stattdessen setzen die Konzerne in ihren Nachhaltigkeitsprogrammen auf produktivitätssteigernde Maßnahmen, die auch den Einsatz von Pestiziden zur Schädlingsbekämpfung beinhalten. INKOTA fordert deshalb Nestlé, Ferrero, Lindt und andere mit der Aktion „Genuss Ohne Gift“ auf, den Einsatz von in der EU nicht zugelassenen Pestizidwirkstoffen in ihren Lieferketten bis 2025 zu beenden.
Alternativen sind möglich
Der Einsatz hochgefährlicher Pestizide kann durch verschiedene alternative Methoden begrenzt und schrittweise beendet werden. Der erste wichtige Schritt Richtung alternativer Ansätze ist, das integrierte Schädlingsmanagement (IPM) durch Forschung und Schulung zu fördern. IPM beinhaltet die Nutzung verschiedener Methoden wie kulturelle Praktiken, Bodenmanagement und biologischer Schädlingsbekämpfung.
Noch besser ist der biologische Kakaoanbau, der ganz ohne den Einsatz chemischer Pestizide auskommt. Der Kakao wird dabei häufig in Agroforstsystemen mit einer Vielzahl von Schattenbäumen und anderen Nutzpflanzen angebaut. Das unterstützt die natürliche Schädlingsbekämpfung, erhöht die Bodenfruchtbarkeit und bietet Lebensraum für wichtige bestäubende Insekten. Krankheiten und Schädlinge werden durch biologische Pflanzenschutzmittel bekämpft. Das verringert die Gefahren für Gesundheit und Umwelt und bietet den Kakaobäuerinnen und Kakaobauern eine deutlich bessere langfristige Perspektive als der konventionelle Kakaoanbau. Besonders eindrücklich zeigt dies das Beispiel der ivorischen Kakaokooperative SCEB, deren Produzent*innen seit fast zehn Jahren ausschließlich Bio-Kakao anbauen. Sie verdienen damit fast 40 Prozent mehr als im konventionellen Kakaoanbau. Das höhere Einkommen ermöglicht ihnen, ihre Kinder zur Schule zu schicken und für sich und ihre Familien kleine Häuser zu bauen. Außerdem berichten sie von einer deutlichen Verbesserung der biologischen Vielfalt auf ihren Anbauflächen und vom Rückgang gesundheitlicher Probleme.
Doch für die Umstellung auf ökologische Anbausysteme benötigen Landwirt*innen finanzielle Unterstützung und den Zugang zu den erforderlichen Produktionsmitteln wie Bio-Saatgut und Bio-Pestizide. Wenn es die großen Kakao- und Schokoladenunternehmen mit einem nachhaltigen Kakaoanbau ernst meinen, müssten sie diese Umstellung fördern. Doch dazu scheint es noch ein weiter Weg zu sein.
Juliane Bing ist Programmkoordinatorin Westafrika im Team nachhaltiger Kakao bei INKOTA. Silke Bollmohr ist INKOTA-Referentin für Welternährung und globale Landwirtschaft und arbeitet seit vielen Jahren zu gefährlichen Pestiziden in Afrika.