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Folge von COVID-19: Hunger­krise im globalen Süden?

Aktuell sind rund 820 Millionen Menschen auf der ganzen Welt von chronischem Hunger betroffen.

von Lena Bassermann
Veröffentlicht 30. MÄRZ 2020

Das heißt, sie haben dauerhaft nicht genug zu essen. Von den Hungernden sind wiederum 113 Millionen mit akuter, schwerer Ernährungsunsicherheit konfrontiert – das heißt, der Hunger bedroht ihre Existenz und sie sind auf externe Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind, um zu überleben. Für diese Menschen ist jede Unterbrechung der Versorgung mit Nahrungsmitteln, wie sie COVID-19 mit sich bringen könnte, lebensbedrohlich. Wenn sich darüber hinaus die COVID-19-Fälle in den 44 Ländern vermehren, die auf externe Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind, oder in den 53 Ländern, in denen 113 Millionen Menschen akuten Hunger leiden, dann könnten die Folgen drastisch sein - so die UN Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO.

Die Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 und die damit verbundenen Einschränkungen werden die Ärmsten der Armen im globalen Süden besonders hart treffen und stellen ihre Ernährungssicherung vor große Herausforderungen. In vielen Ländern des globalen Südens geben Menschen einen Großteil ihres Einkommens - teilweise bis zu 95 Prozent - für Essen aus. Durch die Maßnahmen gegen COVID-19 (Ausgangssperren, Lock-Downs) brechen für viele Menschen im globalen Süden sämtliche Einkommensmöglichkeiten weg. Gleichzeitig fehlen soziale Sicherungssysteme, um diese Verluste aufzufangen oder auszugleichen. Entsprechend sinkt ihre Möglichkeit, täglich ausreichend Essen für ihre Familien und sich zu kaufen.

Ebenso stellt die Schließung von lokalen, oftmals informellen Bäuer*innen- und Wochenmärkten, eine enorme Herausforderung sowohl für Produzent*innen als auch Konsument*innen dar. Schätzungen zufolge werden bis zu 80 Prozent des Essens auf der Welt auf solchen informellen Märkten verkauft. Schließen diese Märkte oder haben Menschen aufgrund der Ansteckungsgefahr mit Corona keine Möglichkeit mehr, diese zu besuchen, wirkt sich das drastisch auf die Möglichkeit aus, Nahrungsmittel zu beschaffen.

300 Millionen Schulkinder ohne Schulessen

Besonders schlimm ist die Situation für viele Schulkinder im globalen Süden: Weltweit sind rund 300 Millionen Kinder darauf angewiesen, dass sie zumindest eine Mahlzeit am Tag in der Schule bekommen. Sind die Schulen geschlossen, fehlt ihnen diese zentrale Nahrungsquelle, die durch ihre Familien in vielen Fällen nicht ersetzt werden kann. Die Folgen dieses Versorgungseinbruchs könnten verheerend sein.

Ebenso drastisch sind die Einschnitte im weltweiten Handelssystem. Durch die Corona-Krise wird deutlich, wie stark unser Ernährungssystem von globalen Handelsströmen und Wertschöpfungsketten abhängt. Es wird deutlich, wie krisenanfällig dieses System ist, das nicht auf eine lokale Versorgung, sondern einen marktliberalen Ansatz setzt. Damit dieses System intakt bleibt, ist freier Warenverkehr über Grenzen und Kontinente hinweg, sind Transportwege und eine internationale Logistik notwendig. Bei geschlossenen Grenzen, abgesperrten Zufahrtswegen, eingeschränktem Schiff- und Flugverkehr steht dieses System vor großen Herausforderungen. Besonders schwierig ist das für Länder, die stark von Lebensmittelimporten abhängen und einen geringen Selbstversorgungsgrad haben.

Erste Auswirkungen sind bereits jetzt erkennbar: Die Lebensmittelpreise schwanken extrem. Das betrifft den globalen Süden ebenso wie den Norden. Zum Beispiel sind die Reispreise deutlich gestiegen, seit einzelne südostasiatische Länder ihre Reisexporte ausgesetzt haben. Noch droht hier keine Versogrungsknappheit, denn die weltweiten Getreidespeicher sind gut gefüllt. Doch nutzen volle Speicher den Menschen nur, wenn das Getreide auch über Länder hinweg transportiert und verteilt werden kann. Gleichzeitig ist es verständlich, dass einzelne Staaten wie Vietnam oder Thailand derzeit versuchen, ihre Vorräte weiter aufzustocken und vom Weltmarkt zu nehmen, um ihre eigene Bevölkerung zu versorgen.

Auch deutsche Landwirt*innen spüren die Corona-Krise

Auch in Deutschland stehen Bäuerinnen und Bauern vor Herausforderungen angesichts der Corona-Pandemien: Jahrelang wurde die Milch-Produktion ausgeweitet und auf den Export ausgerichtet. Die Einschränkungen im Warenverkehr durch COVID-19 schränken die Exportmöglichkeiten jetzt allerdings drastisch ein. Die Folge: Die Preise sinken, Bäuerinnen und Bauern kämpfen mit Verlusten – und sind die Leidtragenden einer verfehlten europäischen Agrarpolitik.

Wie sich die Corona-Krise auch auf den Anbau von Lebensmitteln auswirkt, wird sich wohl erst in der nächsten Saison zeigen. Doch damit es nicht zu Einbrüchen kommt, ist es vor allem wichtig, dass Bäuerinnen und Bauern ihre Saat ausbringen können, dass der Anbau weiterlaufen kann. Hier zeigt sich einmal mehr, dass die agrarökologische Landwirtschaft gegenüber der industriellen einen Vorteil hat. Anders als die industrielle Landwirtschaft sind agrarökologische Ansätze nicht auf den Zukauf von Industriesaatgut angewiesen, sondern das Saatgut ist immer im Betrieb selbst vorrätig. Durch gesperrte Zufahrtstraßen oder geschlossene Grenzen, kann es zu Lieferproblemen beim Saatgut kommen. Zudem fehlt besonders Kleinbäuerinnen und -bauern – wenn das Einkommen wegbricht – das Geld, um Saatgut zu kaufen.

Corona-Hilfe: Stärken Sie die Schwächsten

Was jetzt passieren muss, um die Hungerkrise zu verhindern

Noch ist die Hungerkrise nicht eingetreten. Doch die UN Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO ist stark alarmiert und warnt eindrücklich vor den möglichen Folgen der COVID-19-Krise. Daher ruft die FAO dringend alle Regierungen weltweit auf, entsprechende Maßnahmen zu treffen, um eine Hungerkrise zu verhindern und sich vor allem auf die marginalisiertesten Bevölkerungsgruppen zu fokussieren.

Zentral ist jetzt, dass

  • ausfallende Schulmahlzeiten dringend ersetzt werden. Z.B. indem die Mahlzeiten durch lokale Food Banks oder Gemeindeeinrichtungen ausgegeben oder direkt zu den Familien nach Hause gebracht werden.
  • soziale Sicherungssysteme in allen Ländern ausgebaut werden. In vielen Ländern sind sie massiv gefährdet, da die Ausgabe von staatlichen Zahlungen und Gütern in der Regel von physischen Treffen abhängt. Hier müssen besonders Staaten, in denen Menschen von Hunger und Armut bedroht sind, dringend ihre Anstrengungen ausbauen, die sozialen Sicherungsprogramme – z.B. zur Gesundheitsvversorgung und für Arbeitsausfälle – funktionsfähig zu halten und sie mit mehr Geld auszustatten.
  • Kleinbäuerinnen und Kleinbauern unterstützt werden. Geschlossene Wochenmärkte und geschlossene Transportwege stellen eine große Herausforderung für sie dar, da sie ihre Produkte nicht verkaufen können. Das bedeutet: Bäuerinnen und Bauern haben weniger Einkommen, und die Versorgung mit gesundem, frischem Essen ist massiv eingeschränkt. Internationale Bauernorganisationen fordern daher: Lokale Märkte müssen unbedingt geöffnet bleiben. Dabei sollten natürlich strenge Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz gegen Corona – wie Hinweisschilder für Sicherheitsabstände, eine Flächenausweitung des Marktes auf umliegende Straßen – eingehalten werden.
  • auch Landarbeiter*innen versorgt werden: Laut FAO machen migrantische Saisonarbeiter*innen 27 Prozent der Arbeitskraft in der Landwirtschaft weltweit aus. Durch geschlossene Grenzen können diese in vielen Fällen nicht mehr an ihren Arbeitsplatz gelangen. Das führt erstens zu Engpässen in der Ernte. Und zweitens verlieren die Landarbeiter*innen so ihre Einkommensquelle, wodurch die Herausforderung weiter wächst, die Ernährung für sich und ihre Familien zu sichern.

Gefördert durch Brot für die Welt aus Mitteln des Kirchlichen Entwicklungsdienstes, die Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit des Landes Berlin sowie durch Engagement Global im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

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