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Südlink-Magazin

Eine Frage der Macht

Von der Frauenbewegung zur intersektionalen Genderperspektive: Über radikale Erneuerungen und strategische Bündnisse im internationalen Feminismus.

von Srilatha Batliwala
Veröffentlicht 7. JUNE 2024

Feminismus stellt immer die Machtfrage. Das gilt auch mit Blick auf die eigene Bewegung. Kritische feministische Stimmen aus dem Globalen Süden, die die Dominanz ihrer Schwestern aus dem Globalen Norden hinterfragen, sind lauter geworden. Für den Feminismus ist das eine große Chance: Es hat zu Auseinandersetzungen geführt, aber auch zu neuen Allianzen und zu einem tiefgreifenden Perspektivwechsel, der über die Bewegung hinaus wirkt. Heute ist der Feminismus inklusiver und innovativer denn je.

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Südlink 208 - Feminismus global
Auf dem Weg zu einem besseren Leben für alle | Juni 2024
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Südlink 208 - Feminismus global
Auf dem Weg zu einem besseren Leben für alle | Juni 2024
Der globale Feminismus ist stark und so vielfältig wie nie zuvor. Zugleich muss er sich gegen starke antifeministische Kräfte zur Wehr setzen, die versuchen, die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte zurückzudrehen.  Weltweit setzen sich Feminist*innen für ein besseres Leben für alle…

In einer hierarchischen und ungerechten Gesellschaft setzen sich ungleiche Strukturen auf allen Ebenen fort. Auch Organisationen und Bewegungen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen, bilden dabei keine Ausnahme. Trotzdem wird oft unhinterfragt davon ausgegangen, dass Bewegungen, die sich für soziale Gerechtigkeit und Feminismus einsetzen, ihre nach außen vertretenen Werte und politischen Haltungen auch intern umsetzen. Leider gibt es jedoch reichlich Belege dafür, dass patriarchale, ausgrenzende und diskriminierende Machtdynamiken auch hier reproduziert werden, wenn auch mitunter auf subtile oder versteckte Weise.

Missbrauchsskandale und massive Kritik an Sexismus, sexueller Ausbeutung und subtilen Formen von Rassismus und kolonialem Verhalten innerhalb großer internationaler Entwicklungsorganisationen wurden zwar erst in den letzten Jahren weithin bekannt, wie etwa im Fall von Oxfam in Haiti im Jahr 2018. Frauenbewegungen aus dem Globalen Süden weisen jedoch bereits seit Jahrzehnten auf diskriminierende Machtdynamiken in diesen Räumen hin. Das ist nicht zuletzt der klaren machtkritischen Perspektive geschuldet, die zentraler Bestandteil feministischen Denkens ist: Feminismus fordert uns auf, in allen sozialen Bereichen und Beziehungen, seien sie formeller oder informeller Art, seien sie öffentlich oder nur schwer zugänglich, immer wieder die Machtfrage zu stellen.

Auf dem Weg zu einem neuen Feminismus

Feministinnen aus dem Globalen Süden begannen bereits in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren, die Sichtweisen von Feministinnen aus dem Globalen Norden zu hinterfragen und zu kritisieren, dass sie Räume der Interessenvertretung dominierten sowie über einen besseren Zugang zu Ressourcen verfügten. Auch auf nationaler Ebene gab es in so unterschiedlichen Ländern wie Brasilien, Südafrika, Indien oder den Philippinen (neben zahlreichen anderen) Auseinandersetzungen innerhalb feministischer Kreise, in denen Vertreter*innen marginalisierter und diskriminierter Gruppen die Macht, die Prioritätensetzung und die Dominanz städtischer feministischer Organisationen von Frauen aus privilegierten Klassen und Kasten in Frage stellten.

Feministinnen im Globalen Norden wurden in ähnlicher Weise von diskriminierten Frauen in ihren eigenen Gesellschaften herausgefordert – etwa von afroamerikanischen Frauen in den USA, indigenen Frauen in Australien und Migrantinnen in Europa, weil in ihrer Art und Weise, wie sie die feministische Agenda formulierten und Debatten führten, Kriterien wie race, Ethnizität, Klasse und Kolonialismus überhaupt nicht vorkamen.

Diese Entwicklungen brachten verschiedene für die weltweite Frauenbewegung sehr weiterführende Veränderungen mit sich und trugen wesentlich dazu bei, wie Feminismus neu definiert wurde. Die feministische Bewegung ist heute weitaus komplexer, nuancierter und inklusiver, als sie es selbst zur Zeit der großen UN-Frauenkonferenzen 1985 und 1995 war. Es geht bei Feminismus heute nicht mehr allein um Frauen oder um Geschlecht im alten binären Sinne.

Und Feminismus ist heute nicht mehr allein eine Gesellschaftstheorie, sondern ein einzigartiger Ansatz zur Analyse und Entwicklung von Strategien für soziale Veränderung, der darauf abzielt, ungerechte Machtstrukturen insbesondere in scheinbar privaten oder wenig zugänglichen Räumen zu verändern. So werden das häusliche Umfeld, intime oder partnerschaftliche Beziehungen und vor allem auch der Körper als Orte von Macht, Unterdrückung und Gewalt in den Blick genommen, und zwar auf eine so klare Weise, wie dies bislang kein anderer Gleichheitsansatz getan hat.

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Den Feminismus unterscheidet also von anderen Ansätzen sozialer Gerechtigkeit, dass er genau ausleuchtet, wie Macht funktioniert – und zwar nicht nur in öffentlichen und weithin sichtbaren Sphären, sondern auch in den kaum sichtbaren und unzugänglichen Bereichen der Gesellschaft, wo Stigmatisierung, Gewalt und vielfältige Formen von Unterdrückung seit Jahrtausenden normalisiert und gesellschaftlich sanktioniert werden. In diesem Sinne haben Feminist*innen die Diskurse einiger neuerer Bewegungen wie etwa der Queer- und der Behindertenbewegung maßgeblich mitbestimmt und geformt.

Die Diskurse und der Aktivismus von Feminist*innen im Globalen Norden sind also seit den 1980er Jahren verschiedentlich angefochten worden. Ich möchte drei Beispiele hervorheben, die wesentlich dazu beigetragen haben, die diskursive Macht neu zu verteilen und gerechtere Süd-Nord-Allianzen innerhalb der globalen Frauenbewegung zu schaffen.

Schauplätze von Konflikten zwischen Nord und Süd

Einer der ersten Gegenstände feministischer Kritik aus dem Süden waren das Entwicklungsparadigma und die damit verbundene Wirtschaftspolitik (einschließlich Staatsverschuldung und Strukturanpassungsprogrammen) sowie deren Beitrag zur Verfestigung oder Wiederherstellung ungleicher Geschlechterverhältnisse in Entwicklungsländern. Ein Schlüsselereignis war hierfür die Gründung eines der ersten transnationalen feministischen Netzwerke des Südens, DAWN (Development Alternatives with Women for a New Era), 1984 in Bangalore in Indien.

Das DAWN-Netzwerk entwickelte die erste feministische Analyse makroökonomischer Verhältnisse im Globalen Süden und ihrer Auswirkungen auf Frauen, insbesondere auf die am stärksten Marginalisierten. Einer der ersten Slogans von DAWN brachte auf den Punkt, wie die Stimmen aus dem Süden die feministischen Ziele des Nordens in Frage stellten: „Wer braucht einen größeren Anteil an einem vergifteten Kuchen?“

Auch das Thema Gewalt gegen Frauen wurde zu einem zentralen Feld feministischer Auseinandersetzungen. Feministinnen aus dem Globalen Süden wiesen bereits in den 1980er Jahren darauf hin, dass Gewalt gegen Frauen als systemisches und strukturelles und nicht als individuelles Problem betrachtet werden müsse und feministische Strategien daher auf diejenigen Strukturen und Institutionen zielen müssten, die geschlechtsspezifische Gewalt (re)produzieren.

Schließlich stellten viele Feminist*innen aus dem Süden auch die Art und Weise in Frage, in der Menschenrechtsbewegungen aus dem Norden ein problematisches „Opfer“-Narrativ rund um die Überlebenden von Gewalt aufbauten, mit dem Ziel, Ressourcen zu mobilisieren und die Lobbyarbeit gegen Gewalt voranzutreiben. Sie kritisierten, dass dies die Überlebenden als passiv darstelle und staatlichen Akteuren wie Polizei und Gerichten indirekt eine wichtigere Rolle zuweise als zivilgesellschaftlichen Initiativen. Stattdessen sollten Gemeinschaften selbst darin gestärkt werden, ihre soziokulturellen Normen zu verändern, die Gewalt gegen Frauen normalisieren. Aktivist*innen aus dem Süden waren es auch, die die Anerkennung von Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung forderten, einschließlich des Einsatzes von sexualisierter Gewalt als Waffe in Kriegen und Konflikten.

Die vom Süden aus angeführte Neudefinition einer feministischen Perspektive auf Gewalt, politische Mobilisierung und Advocacy-Arbeit erreichte mit der wichtigen Unterstützung von Feministinnen aus dem Norden einen Höhepunkt auf der UN-Weltkonferenz über Menschenrechte in Wien 1993.

Außerhalb der offiziellen Konferenzräume tagten „Frauengerichte“, bei denen Überlebende genderbasierter Gewalt aus Entwicklungsländern aussagten und die ein breites Publikum anzogen, darunter auch offizielle UN-Delegierte, die diese Geschichten zum ersten Mal hörten. Das Bild der Überlebenden wandelte sich radikal: aus Opfern wurden Akteurinnen, die für sich sprachen und ihre eigenen Kämpfe anführten. Wichtige Folgen dieses Aktivismus waren unter anderem 1994 die Einrichtung der Stelle des UN-Sonderberichterstatters für Gewalt gegen Frauen und 1995 die Anerkennung sexualisierter Gewalt als Kriegsverbrechen durch die Vereinten Nationen.

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Kollektive Rechte und intersektionale Perspektiven

Im Zuge dieser und weiterer Auseinandersetzungen bildeten sich zwei Querschnittsthemen heraus, welche globale feministische Perspektiven und Diskurse verändert haben: Erstens eine Verschiebung des Fokus vom Bereich der individuellen auf den der kollektiven Rechte. Und zweitens, als Konsequenz daraus, die Durchsetzung einer intersektionalen Genderperspektive. Diese erkennt an, dass und wie Gender mit vielfältigen Machtstrukturen – etwa mit race, Kaste, Klasse, Ethnizität, Wohnort, Beruf oder der Art der Arbeit – verwoben ist, die sich in neokolonialen Strukturen von Entwicklungshilfe und Wirtschaft, in internationalen Entwicklungsparadigmen, in zivilen und militärischen Konflikten und bei den Auswirkungen von Klimawandel und Naturkatastrophen fortsetzen.

Begleitet wurde diese Dynamik von einer bemerkenswerten und umfassenden Theoriebildung durch feministische Akademikerinnen und pracademics – aktivistische Wissenschaftlerinnen – aus dem Süden und durch die Zusammenarbeit feministischer Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen aus dem Süden und aus dem Norden. Dadurch begann sich die diskursive Macht zu verlagern, weg von den Festungen akademischer Wissensproduktion im Globalen Norden hin zu praxiserprobten aktivistischen Denker*innen im Globalen Süden.

Die theoretischen Rahmenwerke, die in der Folge von globalen und regionalen Netzwerken unter Führung von Feministinnen des Globalen Südens sowie von feministischen Süd-Nord-Mitgliedsorganisationen entwickelt wurden, haben zu einem tiefgreifenden Wandel in unserem Verständnis von sozialen Machtstrukturen und deren Veränderung geführt. Damit hat sich auch unsere Wahrnehmung von Empowerment, Organisationskultur und Führung grundlegend verändert sowie unser Blick auf feministische Ansätze für Frieden und Sicherheit, auf Arbeit, Beschäftigung und Migration, auf Geschlecht und Religion oder auf die Frage, wie geschlechtsspezifische Machtstrukturen erkannt und Veränderungen gemessen werden können.

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Wichtige Akteur*innen in diesem Prozess waren unter anderem DAWN, JASS (Just Associates), Gender at Work, AWID (Association for Women's Rights in Development), WLUML (Women Living under Muslim Law), GAATW (Global Alliance Against Trafficking in Women), IM-DEFENSORAS (Mesoamerican Women Human Rights Defenders Network) oder WHRDIC (Women Human Rights Defenders International Coalition), um nur einige zu nennen. Mit ihren Konzepten, Analysen, Rahmenwerken und Instrumenten haben sie aus einer intersektionalen feministischen Süd-Perspektive nicht nur das Denken und den Aktivismus im Bereich Feminismus, sondern auch die Mainstream-Ansätze von Entwicklung, internationaler Hilfe und der Rolle multilateraler Institutionen weltweit radikal vorangebracht.

Wo stehen wir heute?

Die gewaltigen Umwälzungen der letzten Jahrzehnte haben also feministische Paradigmen und Strategien weltweit verändert und darüber hinaus ermöglicht, dass im neuen Jahrtausend eine Reihe neuer Bewegungen, Anliegen und Aktionsfelder entstanden sind. Diese Veränderungen sind nicht mehr auf den „Norden“ oder „Süden“ beschränkt, sondern überschreiten derartige Grenzen und schaffen innerhalb der Frauenbewegungen globale Trends. Einige Beispiele dazu:

  • Der Feminismus hat dazu beigetragen, dass im Globalen Süden wie im Globalen Norden starke Bewegungen entstanden sind, die für die Interessen und Rechte von Gruppen eintreten, die bis dato unsichtbar gemacht und stigmatisiert wurden, wie etwa queere Menschen, Frauen mit Behinderungen, Sexarbeiterinnen, migrantische Arbeiterinnen und Frauen, die in der Care Ökonomie arbeiten (z. B. Hausangestellte). Diese Bewegungen haben ihrerseits andere Frauenbewegungen in ihrem jeweiligen lokalen Kontext herausgefordert und zum Beispiel deren oft unhinterfragte Heteronormativität, ihren Klassismus, ihre Behindertenfeindlichkeit oder die Kriminalisierung von Sexarbeit infrage gestellt.
  • Das weltweite Erstarken des religiösen Fundamentalismus und der rechte Backlash gegen Frauenrechte und gegen eine angebliche „Gender-Ideologie“ haben Feministinnen in so unterschiedlichen Regionen wie Lateinamerika, Afrika, dem Nahen Osten und Nordafrika sowie Süd- und Südostasien dazu veranlasst, sich stärker zu organisieren, um einst erstrittene Rechte und Freiheiten zu verteidigen, die nun bedroht sind oder aktiv zurückgedrängt werden. Dies bezieht sich insbesondere auf sexuelle und reproduktive Rechte, Persönlichkeitsrechte, religiöse Überwachung, soziale Normen in Bezug auf Kleidung, Freizügigkeit, Heiratsrecht und Eigentumsrechte.
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  • Der Aufstieg des Autoritarismus und autoritärer Führungsfiguren sowie deren Verstrickung mit Unternehmensinteressen und in manchen Regionen mit dem Drogenhandel haben eine neue Welle der Gewalt gegen soziale Aktivist*innen ausgelöst. Wo autoritäre Regime mit patriarchalen Vorstellungen und einer fundamentalistischen Agenda an der Macht sind, sind vor allem feministische Aktivistinnen und Menschenrechtsverteidigerinnen zur Zielscheibe geworden. Die Ermordung der honduranischen indigenen Umweltaktivistin Berta Caceres oder der iranischen Aktivistin Mahsa Amini, die einen landesweiten Aufstand im Iran auslöste, sind nur zwei der bekanntesten Beispiele. Tausende andere sind an so unterschiedlichen Orten wie Argentinien, Guatemala, Uganda, Sudan, Libanon, Pakistan, Indien, Myanmar, Russland, Indonesien und den Philippinen zur Zielscheibe geworden. Dies hat zu Massenprotesten von Frauen in der Öffentlichkeit geführt, aber auch zur Entwicklung von klandestinen und Online-Strategien, um weiter Widerstand leisten zu können. Diese Widerstandsbewegungen sind bemerkenswerte generationenübergreifende Bündnisse, die oft von jungen Feministinnen angeführt werden. Auch die Prägung des Begriffs „Frauenrechtsverteidigerinnen“ selbst war ein Akt des feministischen Widerstands, um Begriffen wie „Graswurzelaktivistinnen“, die das mutige Handeln dieser Akteur*innen sprachlich bagatellisierten, etwas entgegenzusetzen.
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  • Diese Strömungen und Unterströmungen haben zu einer radikalen Neudefinition und Ausweitung des gesamten Gewaltthemas geführt. Heute sprechen wir nicht mehr von „Gewalt gegen Frauen“, sondern von „genderbasierter Gewalt“, um die Betroffenheit aller anzuerkennen, die aufgrund ihrer Genderidentität Gewalt erleben (wie z.B. auch trans* und nicht-binäre Personen). Der Einsatz gegen genderbasierte Gewalt hat sich außerdem von dem früheren (und stärker individualisierten) Fokus auf häusliche Gewalt und Vergewaltigung auf ein viel breiteres Spektrum von Übergriffen ausgeweitet. Hierzu zählen etwa sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz (die #MeToo-Bewegung), „Sexploitation“ (die mediale Ausbeutung sexualisierter, oft frauenfeindlicher Inhalte), weibliche Genitalverstümmelung, Belästigung in öffentlichen Verkehrsmitteln und allgemein im öffentlichen Raum, strafende Sanktionen am Arbeitsplatz (wie etwa eingeschränkte Toilettenpausen), Hassverbrechen wie die gezielte Vergewaltigung von lesbischen Frauen oder Praktiken wie Früh- und Zwangsehe.
  • Neue Koalitionen und Netzwerke junger Feministinnen nutzen die digitale Revolution und die Möglichkeiten der Online-Organisation und Kampagnenarbeit. Junge Feministinnen üben außerdem unerschrockene Kritik am patriarchalen Führungsstil älterer Feministinnen und an der „Festgefahrenheit“ ihrer Analysen und Ansätze und wehren sich offen dagegen, wenn sie aufgrund ihres jüngeren Alters diskriminiert werden.

Abgrenzungen zwischen Nord und Süd verlieren an Bedeutung

Ein Prozess der Selbstreflexion hat eingesetzt, der überaus wichtig und auch revolutionär ist. Dies ist vor allem dem Generationswechsel in den feministischen Bewegungen zu verdanken. Es gibt heute eine wachsende Bereitschaft, die Werte, Normen und Praktiken zu hinterfragen, die innerhalb formeller und informeller feministischer Räume gelten. Verschiedene transnationale Netzwerke wie etwa Gender at Work (die hier Pionierarbeit leisten), Healing Solidarity und Root! Rise! Pollinate! beschäftigen sich mit interner Organisationskultur und mit dem Wohlbefinden und der ganzheitlichen Gesundheit von Aktivistinnen.

Sozialer Wandel beginnt mit uns selbst und wir alle tragen unhinterfragte Vorurteile, Privilegien und Traumata in uns. Veränderung muss daher bei jeder von uns selbst ansetzen. Feministinnen auf der ganzen Welt leisten innovative Arbeit, um traditionelle Führungsparadigmen zu verändern und normalisierte Modelle von schädlichem Konkurrenzdenken und aktivistischem Märtyrertum („Arbeite, bis du ausbrennst, um zu beweisen, wie engagiert du bist!“) in Frage zu stellen.

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Auf dem Weg zu einem besseren Leben für alle | Juni 2024
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Auf dem Weg zu einem besseren Leben für alle | Juni 2024
Der globale Feminismus ist stark und so vielfältig wie nie zuvor. Zugleich muss er sich gegen starke antifeministische Kräfte zur Wehr setzen, die versuchen, die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte zurückzudrehen.  Weltweit setzen sich Feminist*innen für ein besseres Leben für alle…

Diese kurze Geschichte zeigt, dass die vielleicht ungewöhnlichste und zugleich positivste Veränderung der transnationalen Frauenbewegung in den letzten zwanzig Jahren darin besteht, dass alte Trennungen, Spannungen und politische Abgrenzungen zwischen „Norden“ und „Süden“ verschwimmen. Zwar gibt es nach wie vor erhebliche Asymmetrien beim Zugang zu Ressourcen. Aber feministische Gruppen aus dem Norden haben nicht mehr dieselbe Macht wie einst, sei es in den Räumen politischer Einflussnahme, bei der Theorie- und Perspektivenbildung, bei der Themensetzung oder der Entwicklung von Führungsstrategien. Auch haben sich zwischen Feministinnen im Norden und im Süden weitaus gleichberechtigtere und respektvollere transnationale Beziehungen entwickelt. Viele, vor allem jüngere Feminist*innen aus dem Norden sind heute sehr offen dafür, von ihren Schwestern aus dem Süden zu lernen, in einer Weise, die noch vor einigen Jahrzehnten selten zu beobachten war. Mehr noch: Allianzen zwischen Feministinnen quer über den Globus sind nicht mehr die Ausnahme, sondern die Norm.

Dieses neue Gleichgewicht und diese neuen Allianzen sind angesichts des weltweiten Backlash gegen Feminismus, Geschlechtergerechtigkeit und Menschenrechte wichtiger denn je. Die Frauenbewegung ist einer der wenigen Räume, in denen alte Machtdynamiken zwischen Nord und Süd in Frage gestellt und meinem Empfinden nach tiefgreifend verändert worden sind. Das ist eine riesige Errungenschaft. Denn wir werden den Kräften des Fundamentalismus, des Faschismus und des wiederauflebenden Patriarchats, der Klimaleugnung und Umweltzerstörung, den unkontrollierten Tech-Giganten und autoritären Staaten nicht widerstehen, wenn wir nicht die Stärke und Widerstandsfähigkeit, den politischen Scharfsinn und die strategische Brillanz von Frauenbewegungen in jedem Winkel dieser Erde nutzen.

Wie uns das alte I Ging, das Buch der Wandlungen, lehrt: „Streit im Innern lähmt die Kraft, die Gefahr im Äußeren zu besiegen.“ Die transnationale Frauenbewegung hat diese Wahrheit erkannt und arbeitet intensiv an der Stärkung ihrer kollektiven Macht.

Aus dem Englischen von Nana Heidhues.

Srilatha Batliwala arbeitet im Bereich Wissensaufbau bei der Internationalen feministischen Menschenrechtsorganisation Creating Resources for Empowerment in Action (CREA) und ist Senior Beraterin bei der Organisation Gender at Work.

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