Kunstdünger: Allheilmittel oder Droge der Landwirtschaft?
INKOTA-Studie belegt kritische Rolle von synthetischen Düngemitteln in der Ernährungskrise
Die Preise für Lebensmittel, Energie und Düngemittel steigen derzeit weltweit drastisch – und verschärfen die globale Ernährungskrise. Besonders Menschen in Ländern des globalen Südens leiden aktuell unter den steigenden Preisen. In der neuen INKOTA-Studie „Goldkugel oder Krisenverstärker? Neue Abhängigkeiten von synthetischen Düngemitteln und ihre Folgen für den afrikanischen Kontinent“ zeigt der Autor Dr. Gideon Tups den engen Zusammenhang zwischen der Preisentwicklung von fossilen Brennstoffen, synthetischen Düngemitteln und Lebensmitteln. So zeigte bereits die letzte Welternährungskrise 2007/2008, dass eine Verdopplung der Düngemittelpreise im Schnitt zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise um 44 Prozent führt.
Expansion der Düngemittelindustrie auf Kosten von Kleinbäuerinnen
Zentraler Bestandteil des auf fossilen Energieträgern basierenden Ernährungssystems ist die intensive Nutzung synthetischer Düngemittel. Neben Problemen wie massiven Umwelt- und Klimaschäden ist ihre Produktion und folglich auch ihr Preis eng an den von fossilen Brennstoffen wie Kohle, Öl und Gas gekoppelt. Dennoch ist die globale Düngemittelindustrie auf Expansionskurs auf dem afrikanischen Kontinent, der für sie als letzter Zukunftsmarkt gilt. Die Preisanstiege treffen derzeit Menschen im globalen Süden besonders hart. Gleichzeitig profitieren vor allem globale Düngemittelkonzerne, die ihre Absätze in den vergangenen 20 Jahren insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent massiv gesteigert haben: Ihre Gewinne sind im Vergleich zum Vorjahreszeitraum teilweise um das 70-fache gestiegen. Damit gehören sie zu den großen Kriegsgewinnlern.
Als kurzfristige Maßnahmen fordert INKOTA die Einführung einer Übergewinnsteuer für multinationale Düngemittelkonzerne, festgelegte Preisobergrenzen für Düngemittel sowie die vergünstigte Ausgabe von organischem Dünger vor allem für Kleinbäuer*innen. Gleichzeitig sind Investitionen in eine agrarökologische Landwirtschaft unerlässlich, um ein krisenfestes Ernährungssystem aufzubauen, in dem die Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten und synthetischen Düngemitteln drastisch reduziert wird.
Wie grün sind Düngemittel aus grünem Wasserstoff?
Synthetische Düngemittel stellen eine zentrale, aber zugleich kontroverse Komponente der industriellen Landwirtschaft dar. Sie haben die landwirtschaftliche Produktion gesteigert, aber zu einem hohen Preis. Afrika nutzt im Vergleich zu anderen Teilen der Welt nur wenig synthetische Düngemittel und ist mit steigenden Hungerzahlen konfrontiert. Ist es aber wirklich notwendig, dass Afrika dem Beispiel anderer folgt und vermehrt Düngemittel einsetzt, um die Produktion zu steigern? Die bisherigen Bemühungen im Zuge der Allianz der Grünen Revolution (AGRA), Hunger durch die großflächige Verteilung von teuren Betriebsmitteln zu bekämpfen, sind kläglich gescheitert. Trotzdem wird immer noch die Wichtigkeit von synthetischen Düngemitteln für Kleinbauern und Kleinbäuerinnen betont. Dabei gibt es schon viele nachhaltige, innovative Lösungen, um hochqualitative organische Düngemittel direkt vor Ort zu produzieren.
Die Bundesregierung schlägt als mögliche Lösung vor, die lokale Produktion von „Düngemitteln aus grünem Wasserstoff“ zu fördern und es gibt bereits Beispiele von Produktionsstätten in Kenia. Aber was sind „Grüne Düngemittel“ überhaupt und wie nachhaltig sind sie wirklich? Es gilt zu klären, welche Herausforderungen diese Alternative mit sich bringen und ob es Lösungen gibt, die sowohl die Gesundheit des Bodens als auch die Bedürfnisse der Kleinbäuer*innen ganzheitlich berücksichtigen.
Wir sprachen am 19.09.2024 mit Expert*innen aus Deutschland und Kenia:
- Lisa Tostado, Campaignerin für Agrochemikalien und fossile Brennstoffe, Center for International Environmental Law (CIEL)
- Silke Bollmohr – Referentin für Welternährung und globale Landwirtschaft, INKOTA Netzwerk
- Anne Maina – Koordinatorin, BIBA (Biodiversity and Biosafety Association, Kenya)
- Rosinah Mbenya, Koordinatorin, PELUM (Participatory Ecological Land Use Management, Kenya)
Gefördert durch Brot für die Welt aus Mitteln des Kirchlichen Entwicklungsdienstes, die Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit des Landes Berlin, Misereor, sowie durch Engagement Global im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Für den Inhalt dieser Publikation ist allein das INKOTA-netzwerk e.V. verantwortlich; die hier dargestellten Positionen geben nicht den Standpunkt der Zuwendungsgeber wieder.