Südlink-Magazin

Wasser für alle

Das Menschenrecht auf Wasser ist ein Meilenstein und umfasst mehr, als den gerechten Zugang zu der lebensnotwendigen Ressource.

von Tobias von Lossow
Veröffentlicht 1. MÄRZ 2024

Im Jahr 2010 verabschiedete die UN-Generalversammlung ein Menschenrecht auf Wasser. Zwar ist dieses rechtlich nicht bindend und muss auf Ebene der Nationalstaaten umgesetzt werden. Doch von dem Beschluss geht ein starkes politisches Signal aus. Gleichwohl haben heute immer noch mehr als zwei Milliarden Menschen keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Um das Recht auf Wasser umzusetzen, bedarf es weiterer Anstrengungen auf mehreren Ebenen.

Blaues Gold, Quell des Lebens, Rohstoff, Wirtschaftsgut, Konfliktstoff, Lebenselixier und Menschenrecht – Wasser hat zahlreiche Facetten. Völlig zutreffend betonen viele Zuschreibungen dessen wirtschaftlichen Stellenwert oder existenzielle Bedeutung. Ohne Wasser ist kein Leben auf Erden möglich, das blaue Nass ist nicht nur für die Menschheit (über-)lebensnotwendig.

Viele Debatten und Diskussionen rund um Wasser thematisieren direkt oder indirekt eine adäquate Trinkwasserversorgung – eine ausreichende Menge Wasser in angemessener Qualität. Darüber hinaus benötigt der Mensch zusätzlich Wasser, um sanitäre Grundbedürfnisse zu befriedigen. In beiden Fällen ist eine entsprechende, flächendeckende Versorgung vielerorts nicht gewährleistet. So haben 2,2 Milliarden Menschen keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Trinkwasser, über einem Drittel davon fehlt es gar an einer Grundversorgung. Für 4,2 Milliarden Menschen stehen keine sicheren Sanitäreinrichtungen zur Verfügung, mehr als die Hälfte davon hat nicht einmal Zugang zu Toiletten oder Latrinen. Diese Defizite sind im Globalen Süden deutlich größer als im Globalen Norden. Der Mangel in der Wasserversorgung hat somit vor allem auf die Menschen in ärmeren Ländern und Bevölkerungsschichten schwerwiegende gesundheitliche, soziale, wirtschaftliche und finanzielle Folgen – individuell aber auch für die Gesellschaft als Ganzes.

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Südlink 207 - Wasser
Zwischen Mangel und Überfluss | März 2024
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Südlink 207 - Wasser
Zwischen Mangel und Überfluss | März 2024
Seit 2010 gibt es das von den Vereinten Nationen verabschiedete Menschenrecht auf Wasser. Doch noch immer haben mehr als zwei Milliarden Menschen keinen gesicherten Zugang zu sauberem Wasser – die große Mehrheit von ihnen im Globalen Süden.

Während der Status Quo bereits besorgniserregend ist, versprechen die globalen Wassernutzungstrends keinesfalls Besserung. Seit geraumer Zeit steigt die Wassernutzung um etwa ein Prozent pro Jahr, die Schere aus Wasserangebot und -nachfrage öffnet sich weiter. So tragen zum einen die Übernutzung der Ressourcen, Wasserverschmutzung, mangelhaftes Wassermanagement und der Klimawandel maßgeblich dazu bei, dass das Wasserangebot abnimmt. Zum anderen steigt weltweit die Wassernachfrage. Dies liegt am Bevölkerungswachstum, vor allem aber am Wirtschaftswachstum und den damit verbundenen steigenden Lebensstandards, die Wasserverbrauchsgewohnheiten verändern und einen deutlich höheren Verbrauch nach sich ziehen.

Infolge zunehmender Wasserknappheit, Versorgungslücken und akuter (Wasser-)Notlagen nehmen Wettbewerb, Spannungen und Konflikte um die Ressourcen stetig zu. Fragen der Verteilung, Nutzung und Kontrolle von Wasser werden brisanter und eskalieren zusehends. Parallel dazu wächst auch die politische Bedeutung von Wasser. Dies zeigt sich unter anderem in Fragen nach der Legitimität von Staaten und dem Gesellschaftsvertrag, wenn eine Grundversorgung für die Bevölkerung nicht bereitgestellt werden kann.

Der lange Weg zum Menschenrecht

Vor diesem Hintergrund einer zunehmend angespannten Versorgungssituation in den letzten Jahrzehnten, wurde die Debatte um das Menschenrecht auf Wasser geführt. Aufgrund seiner (über-)lebensnotwendigen Bedeutung für jede*n Einzelne*n schien ein solches Menschenrecht unumgänglich und geradezu alternativlos. Dennoch dauerte es bis 2010, um diese – oft als selbstverständlich wahrgenommene – Sichtweise auf globaler Ebene formal und rechtlich festzuschreiben.

Ein Menschenrecht auf Wasser war implizit bereits in einigen geltenden rechtlichen Bestimmungen angelegt. Es konnte beispielsweise aus dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt, 1966) abgeleitet werden, der einen angemessenen Lebensstandard sowie den höchsten erreichbaren Standard körperlicher und geistiger Gesundheit als Rechte anführt. Auch der Passus der körperlichen Unversehrtheit in vielen Verfassungen lässt die Interpretation zu, dass dies ein Recht auf eine Wassergrundversorgung einschließt. Auf die Frage, ob und ich welcher Form Wasser ausdrücklich als Menschenrecht anerkannt werden sollte, folgte eine lange und zähe Debatte. In ihrer Generalversammlung am 28. Juli 2010 erkannten die Vereinten Nationen schließlich das Recht auf sicheres und sauberes Trinkwasser sowie sanitäre Grundbedürfnisse als Menschenrecht und Grundvoraussetzung für ein lebenswertes Leben und alle Menschenrechte an. Fünf Jahre später erweiterte beziehungsweise präzisierte die UN-Generalversammlung das Recht auf Trinkwasser und Sanitärversorgung als eng verbundene aber dennoch eigenständige Menschenrechte.

Damit verankerten die UN-Staaten eine angemessene Trinkwasserversorgung international und rechtlich – auch um so einen Ausbau der Wasserinfrastruktur und -versorgung politisch voranzutreiben. Gleichwohl ist das Menschenrecht auf Wasser rechtlich weder bindend, noch universell einklagbar. Die juristische Zuständigkeit fällt in den meisten Fällen zurück an die Nationalstaaten, die oftmals keinen Rahmen für mögliche Klagen bieten. Südafrika ist hier eine Ausnahme, da es den Zugang zu Wasser in seiner Verfassung fixiert und damit eine belastbare Rechtsgrundlage geschaffen hat. Dennoch führen auch in Südafrika Klagen nicht unmittelbar zu einer Verbesserung der Wassersituation.

Über die Ebene der Nationalstaaten hinaus, können sich auch internationale Gerichte mit dem Menschenrecht auf Wasser befassen, ihr Einfluss ist aber begrenzt und es bestehen wenig Möglichkeiten entsprechende Urteile durchzusetzen. Für viele weltweit von Wasserknappheit und Wasserstress betroffene Menschen hat sich faktisch wenig geändert. Die Trinkwasserversorgung bleibt vielerorts unzureichend.

Dennoch hat der Schritt, Wasser ausdrücklich als Menschenrecht zu verbriefen, ein starkes politisches Signal gesendet und darf zurecht als Meilenstein gelten. Das Menschenrecht auf Wasser trägt der essenziellen Bedeutung von Wasser Rechnung, verdeutlicht aber ebenso, dass Unrecht und die Beeinträchtigung eines würdevollen Lebens in der Wasserversorgung in vielen Formen präsent sind.

Mehr als der Zugang zu Wasser

Das Menschenrecht auf Wasser beinhaltet zahlreiche Aspekte, die über den reinen Zugang zu Wasser hinausgehen. Diese verdeutlichen, wie komplex und kompliziert sich ein solches Recht auf Wasser in seiner Breite darstellt und in der Umsetzung ausweiten kann. Wesentliche Elemente des Menschenrechts auf Wasser gehen zurück auf den Allgemeinen Kommentar Nummer 15 des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und den UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte auf sicheres Trinkwasser und Sanitärversorgung. Demnach berechtigt das Menschenrecht auf Wasser jede*n zu (a) ausreichendem, (b) ungefährlichem, (c) sicherem, (d) annehmbarem, (e) physisch zugänglichem und (f) erschwinglichem Wasser für den persönlichen und den häuslichen Gebrauch.

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Darunter fällt das Recht auf eine (a) dauerhaft verfügbare, ausreichende Trinkwasserversorgung und eine ausreichende Anzahl an sanitären Einrichtungen zuhause oder in unmittelbarer Umgebung sowie in Gesundheits- und Bildungseinrichtungen, am Arbeitsplatz und öffentlichen Orten. Zudem muss (b) der Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen ungefährlich sein, was auch die besonderen Bedürfnisse einzelner Gruppen einschließt, wie etwa Menschen mit körperlichen Einschränkungen, Frauen, Kinder oder ältere Menschen.
 
Weiter gilt es (c) Qualität und Sicherheit sicherzustellen – Wasser für den persönlichen Gebrauch und im Haushalt muss frei sein von schädlichen Mikroorganismen, chemischen Substanzen oder radiologischen Bedrohungen. Sanitäre Einrichtungen müssen hygienisch sicher sein und den Kontakt von Menschen, Tieren oder Insekten mit Exkrementen ausschließen. Schließlich müssen (d) Wasser- und Sanitäreinrichtungen kulturell angemessen und akzeptiert sein und dabei Kriterien und Standards hinsichtlich Gender, individueller Lebenssituation und Privatsphäre erfüllen.

Wasser und Sanitäreinrichtungen müssen zudem (e) in angemessener Reichweite physisch zugänglich gemacht werden. Schließlich müssen sich (f) alle Nutzer*innen die Wasserleistungen leisten können – keiner Gruppe soll der Zugang zu sicherem Trinkwasser verweigert werden, sollten diese nicht in der Lage sein, die Kosten aufzubringen.

So ist das Menschenrecht auf Wasser in seiner Breite und Tiefe sehr umfassend formuliert. Die aufgeführten Bedingungen sind gewissermaßen ein Ideal in Sachen Wasserzugang. Hinsichtlich der Umsetzung bleiben die Veränderungen aber hinter den Erwartungen zurück. An Orten, an denen Menschenrechte politisch generell einen geringen Stellenwert haben, gezielt verletzt werden oder letzteres geduldet wird, hat das Menschenrecht auf Wasser grundsätzlich wenig Zugkraft. Kritiker*innen wenden zudem ein, dass der physische Mangel von Wasser, die Einhaltung des Menschenrechts auf Wasser in einigen Regionen quasi unmöglich macht.

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Das Menschenrecht als wichtiger Ausgangspunkt

Die Wasserressourcen, der Zugang zu Wasser und damit auch das Menschenrecht, geraten weltweit zunehmend unter hydrologischen wie politischen Druck. Während Letzteres durch eine gewisse politische Trägheit, fehlenden Handlungswillen oder bewusstes Ignorieren von Bedürfnissen der Bevölkerung befördert wird, hängt Ersteres auch von den hydrologischen und klimatischen Rahmenbedingungen und Veränderungen ab. So führt beispielsweise der Klimawandel zu steigenden Temperaturen, höheren Verdunstungsraten und einem höheren Wasserverbrauch. Bei Hitzewellen steigt nicht nur der unmittelbare Trinkwasserbedarf, auch die Kühlsysteme und der Energiebedarf (Wasserkraft) nehmen zu.

Der Wettbewerb der Wassernutzer*innen wird schärfer und schürt bestehende Verteilungskonflikte auf nationaler wie auch auf zwischenstaatlicher Ebene. So nehmen infolge von Trockenheit und Dürre Konflikte zwischen sesshaften Ackerbauern und nomadischen Viehzüchter*innen entlang der Sahelzone oder im östlichen Afrika zu, da die Viehzüchter*innen immer länger in den landwirtschaftlichen Nutzflächen der Ackerbauern bleiben, als dies früher der Fall war. Auch kommt es immer häufiger zu Streit zwischen Kommunen oder Provinzen. Auf zwischenstaatlicher Ebene spitzen sich Konflikte an den großen, grenzüberschreitenden Flussläufen zwischen Oberlieger- und Unterlieger-Staaten zu, wie etwa am Nil, am Indus oder an Euphrat und Tigris.

Die zunehmenden Wasserkonflikte stellen die damit befassten Institutionen vor gewaltige Herausforderungen und Dilemmata, die harte politische Entscheidungen mit sich bringen. Darunter fallen zum Beispiel Fragen, inwieweit die Bedürfnisse der Bevölkerung im Falle akuter Wasserkrisen und schwerer Dürren noch befriedigt werden können und in welchem Ausmaß Wassernutzungsinteressen einzelner Industriezweige, etwa in der Lebensmittelindustrie, als vorrangig eingestuft oder eingeschränkt werden sollten.

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Derlei Wasserverteilungsfragen gefährden beziehungsweise schwächen potenziell das Menschenrecht auf Wasser – wodurch es aber gleichzeitig an Bedeutung gewinnt: Auf UN-Ebene ist es ein starker Referenzpunkt, der denkbare Einschränkungen beim Trinkwasserzugang in manchen Fällen politisch erschwert. In dieser Funktion ist das Menschenrecht auf Wasser als Grundlage, Basis sowie rote Linie zu verstehen und wird seiner Rolle als Meilenstein in der Wasserversorgung gerecht. Es ist auch als Gegenpol zu Geschäftsinteressen des Privatsektors zu verstehen, beispielsweise bei der Privatisierung der Wasserversorgung oder der (Über-)Nutzung von Ressourcen durch die Getränkeindustrie auf Kosten der lokalen Wasserversorgung.

Wenn es darüber hinaus gelingen soll, den universellen Zugang zu Wasser zu verbessern und das Leitbild eines Integrierten Wasserressourcen Managements (IWRM) flächendeckend umzusetzen, bedarf es weiterer gesellschaftlicher, politischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Anstrengungen. Nur dann kann es gelingen, beispielsweise einen größeren Anteil von Haushaltsabwässern zu klären, mehr Wasser in der Industrie einzusparen oder eine strengere Begrenzung landwirtschaftlicher Düngemitteleinträge durchzusetzen. Das Menschenrecht auf Wasser ist ein wichtiger Faktor und Ausgangspunkt, aber keinesfalls eine umfassende Lösung, um den Zugang zu Wasser global zu gewährleisten. Dies gilt insbesondere angesichts der diversen Bedrohungen, denen Wasser ausgesetzt ist.

Mit den Themen nachhaltiger Wasserversorgung und Wassermanagement beschäftigt sich auch das Weltwasserforum, das im Mai auf der indonesischen Insel Bali unter dem Titel „Water for Shared Prosperity“ stattfinden wird. Das Treffen versammelt UN-Expert*innen sowie Vertreter*innen staatlicher Institutionen vieler Länder und privater Unternehmen. In seiner zehnten Ausgabe befasst sich das Forum mit ganz unterschiedlichen Aspekten, unter anderem mit Wassersicherheit und Prosperität, Wasser für Mensch und Natur und nachhaltiger Wasserfinanzierung. Die Themenbreite dieser Veranstaltung zeigt einmal mehr, wie komplex und weitläufig die Herausforderung ist, eine adäquate Wasserversorgung für alle bereitzustellen und an den bestehenden Defiziten zu arbeiten.

Tobias von Lossow ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Clingendael Institute (Netherlands Institute of International Relations) und affiliierter Wissenschaftler am Institute for Hydrological Education (IHE) in Delft. Zudem lehrt er an der Universität Leiden und der Freien Universität Berlin. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet er zu Fragen rund um Wasser und Sicherheit.

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